■ Hamburg: Der Koalitionsvertrag besiegelt einen Waffenstillstand. Mit ihm läßt sich leichter das Nichthandeln begründen als handeln
: Rosinen im Kopf, Kröten im Maul

Die gute Nachricht aus Hamburg: Rot-Grün hat als Schreckgespenst ausgedient, ist normal geworden, stinknormal. Die schlechte Nachricht: Rot-Grün ist grau, farblos, konturlos geworden. Dahin der Glanz des vermeintlichen Jahrhundertbündnisses, das es dem Rest der Welt mal richtig zeigen wollte. Das Hamburger Ergebnis ist mit Blick auf Bonn ausgehandelt worden, deshalb ist es vor allem negativ bestimmt: es darf nicht ungut auffallen – keine Skandale, keine Tagträume, keine wirklichen Einschnitte.

Was ist bei den Koalitionsverhandlungen herausgekommen? Wenig. Das war nicht anders zu erwarten. Politik ist heute vorerst Verwaltung von Mangel. Es ist gut, daß dem nun auch die Grünen zugestimmt haben. Erst große Rosinen im Kopf, dann eklige Kröten im Maul: im Eilverfahren haben Hamburgs Grüne diesen Weg durchmessen. Sie haben der Elbvertiefung, der Hafenerweiterung zugestimmt, und auch einem Ausbau des Flughafens werden sie keinen Widerstand mehr entgegensetzen. Die Klügeren unter Hamburgs Grünen sehen das nicht als Niederlage, sie haben es erleichtert hinter sich gebracht. Nun ist es raus und hinterrücks zum GAL-Konsens geworden: Hafen und Wirtschaft gehen vor.

Die GAL ist damit ihr Verhinderungsimage losgeworden. Freilich zu einem hohen Preis. Nicht sie selbst hat sich korrigiert – das hat vielmehr der Koalitionspartner SPD besorgt. Er hat die GAL zu ihrem Glück gezwungen. Und da ist viel Verlogenheit bei. Jeder GAL-Unterhändler kann, verzweiflungsvoll die Hände ringend, vor seine maulige Basis treten und der mitteilen, es sei nun mal „mehr nicht dringewesen“. Es wäre ein Zeichen von Souveränität und Lernfähigkeit gewesen, wenn die GAL ihre Ideenwelt selbst entrümpelt hätte; wenn sie dem nachdenklichen Großstadtpublikum vorgeführt hätte, wie man öffentlich falsche Positionen räumt.

In Hamburg hat sich wiederholt, was bei Grüns schon immer üblich war: Man modernisiert die Partei hinter dem Rücken der Basis, man überlistet den gemeinen Feld- Wald-und-Wiesen-Grünen und setzt ihm irgendwann ein mager scheinendes Mahl vor, das der dann nicht mehr zurückweisen kann. Das ist ein gefährliches Spiel. Denn man macht damit die „Basis“ zum Objekt, zum Anhängsel. Ausgerechnet die Grünen tun viel, um ihre Mitglieder passiv zu halten, zu entpolitisieren, aus der Politik zu vertreiben. Bei den Grünen wird Politik zur Sache nur von Fachleuten, nur von Politprofis, nur von Eliten: Die konservativen Theoretiker der Demokratie als Plebiszit für funktionale Eliten hätten ihre Freude daran.

Der rot-grüne Koalitionsvertrag aus Hamburg ist auch eine Blackbox: er enthält viele Absichtserklärungen. Und die SPD hat sich in vielem durchgesetzt. Nirgendwo ist zu erkennen, daß sich die Partei – bei der Bürgerschaftswahl um fast fünf Prozent geschrumpft – über dieses Debakel Gedanken gemacht hätte. Feuchtfröhlich tritt der Verlierer als Sieger auf, und die GAL läßt sichs gefallen. Frech verweigerte die SPD – die in der prosperierenden Nachwendezeit das Geld zum Fenster rausgeworfen hat – der GAL das Finanzressort: die könne mit Geld doch nicht umgehen! Die GAL, vorher zu nachgiebig, mußte sich diese Unverschämtheit gefallen lassen. Gescheitert sind die Grünen dort, wo sie (wie gesagt: hinter dem Rücken ihrer Klientel) das schärfste Profil haben: Sie haben nur wenig an Modernisierung durchsetzen können. Zwar gibt es kleine Einsprengsel, doch die SPD hat mit ihrem Vorbehalt gegen Privatisierung, freiwillige Haushaltsdisziplin und die Idee der Selbsthilfe weithin gewonnen.

Frankfurts Umweltdezernent Tom Koenigs sagte kürzlich: „Die Grünen wollen einen Staat, der weniger tut, aber mehr entscheidet.“ Wären die Grünen schon soweit, lägen sie mit der SPD über Kreuz. Da sie aber noch nicht soweit sind, wurde in Hamburg vieles ganz einfach vertagt. Der Koalitionsvertrag ist auch ein Dokument eines Waffenstillstands – mit ihm kann man leichter das Nichthandeln begründen als handeln.

An zwei Punkten macht sich das auf äußerst ärgerliche Weise bemerkbar. Erstens: In der Migrationspolitik mußte die GAL eine grausame, aber selbstverschuldete Niederlage hinnehmen. Weil dieses Thema bei der GAL herkömmlicherweise in Fundihand ist, hat man es in den Koalitionsverhandlungen fast ausschließlich auf die Frage der Flüchtlinge und Asylbewerber verengt und sich viel zu nachgiebig in der Frage der Integration von Inländern mit deutschem Paß verhalten. Im Grunde führte ein insgeheimes Zusammenspiel zweier Fundigruppen – des linken GAL-Flügels und der starken Traditionsbataillone bei der SPD – dazu, daß es in der Stadt keine neue Leitstelle geben wird, die sich der Integration von Ausländern annimmt.

Zweitens ist auf dem verminten Gebiet der inneren Sicherheit ein skandalöser Kompromiß ausgehandelt worden. Die SPD, die mit diesem Thema den Wahlkampf bestritten hatte, hat nun so getan, als sei das alles nicht so ernst gemeint gewesen. Zur Freude der GAL, die hier eine Klippe umschiffen konnte. Zwar wurden ein paar Maßnahmen beschlossen (mehr Polizei auf der Straße, Sicherheitspartnerschaften, Sicherheitskonferenzen), aber es fehlt alles Grundsätzliche. Man hat sich auf dem ausgelaugten Terrain der alleinseligmachenden Sozialarbeiterei getroffen und sich um ein großes Problem schwieriger Zeiten gedrückt: Wie verbindet man entschiedene Liberalität mit einem ebenso entschiedenen Eintreten für Sicherheit und einen handlungsfähigen, autoritativen Staat? Dazu schweigt die Koalitionsrunde verschämt – und beläßt es damit in einer zentralen Frage, die zur Verklüftung aller großen Städte beiträgt, beim schlechten Alten.

Joscha Schmierer hat in einem bemerkenswerten Aufsatz in der Kommune den Grünen eine sozialliberale Perspektive als Bestmögliches angedient: nicht sozialliberal im alten Sinne als historischer Kompromiß aus Marktgläubigkeit (FDP) und Staatsgläubigkeit (SPD). Sondern (in meinen Worten): Festhalten am Vorrang der individuellen Freiheit und zugleich den – staatlichen, institutionellen – Rahmen achten und stärken, den wir brauchen, damit auch in stürmischen und ärmeren Zeiten ein Ausgleich der Interessen und Gerechtigkeit möglich werden. Davon finden sich im Hamburger Koalitionsvertrag allenfalls Spurenelemente. Auch deswegen, weil – ceterum censeo – Rot und Grün letztlich doch nicht so gut zusammenpassen. Thomas Schmid