Analyse
: Der Beleidigte

■ Daniel J. Goldhagen fühlt sich diffamiert. Er droht Kritikern mit Klage

Ein Leserbrief im Spiegel, geschrieben im August von Professor Ulrich Herbert, Historiker aus Freiburg, brachte den Stein auch in Deutschland ins Rollen. Herbert hatte die neuesten Diskussionen in den USA um Daniel J. Goldhagens Buch über „Hitlers willige Vollstrecker“ verfolgt und in kurzen Zeilen den „Skandal“ – den unwissenschaftlichen Umgang mit den Quellen – beschrieben.

Ruth Bettina Birn und Volker Riess beschäftigten sich bereits im März 1997 eingehend für das Cambrigde Historical Journal mit Daniel J. Goldhagen. Birn ist leitende Historikerin der Abteilung für Verbrechen gegen die Menschlichkeit des kanadischen Justizministeriums, Riess ist ebenfalls Historiker. Beide gehörenen zu den ausgewiesenen Kennern der Archive der deutschen Zentralstelle der Landesjustizverwaltungen zur Ermittlung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg. Dort lagern zum größten Teil jene Quellen, auf die sich Goldhagen bezieht. Birn und Riess unterzogen seine Arbeit erstmals einer umfassenden Kritik im Umgang mit diesen Quellen. Das Resultat, so schrieb Herbert, bestätigt, „was bislang von allen Fachhistorikern, ob in Deutschland, Israel oder den USA, hierzu bemerkt worden ist“. Denn das Ergebnis, zu dem Birn und Riess kamen, fiel verheerend aus. „Goldhagen suchte Bestätigung, nirgends Erkenntnis. Von einem selektiven Umgang Goldhagens mit den Quellen zu sprechen ist nach dieser detaillierten Kritik ein reiner Euphemismus; er ist manipulativ“, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Nun ist Goldhagen beleidigt. Er hält der Autorin vor, ihre Kritik diffamiere seinen Charakter, die Objektivität fehle, schließlich würde Birn kaum Gutes zum Buch sagen. Goldhagen verlangt eine Entschuldigung, die Zurücknahme aller „Falschdarstellungen“. Und fährt schweres Geschütz auf: Nach englischem Presserecht hat er den beiden Historikern, dem Herausgeber der Historical Studies sowie dem Verlag mit einer Klage wegen Beleidigung und Schmährede angedroht. Das ist neu: Ein Autor versucht, wissenschaftliche Kritik nicht durch Argumente zu widerlegen, sondern droht mit dem Gericht. Dieser Umstand hat Auswirkungen. Nicht nur für Ruth Bettina Birn, der erhebliche finanzielle Konsequenzen drohen. So teilte ihr Arbeitgeber mit, daß es zu Interventionen gekommen sei, als es darum ging, ihren Beitrag in einem Sammelband wiederabzudrucken. Dennoch sieht sich Frau Birn nicht genötigt, sich zu entschuldigen oder etwas von ihrer Kritik zurückzunehmen.

Goldhagens Vorgehensweise ist bislang unüblich in akademischen Kreisen. Eine Frage bleibt: Kann es eine Fortsetzung wissenschaftlicher Diskussionen mit juristischen Mittel geben? Andreas Hergeth