Parole: „Nie wieder Deutschland“

■ 600 Menschen protestieren gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Gäste als Garanten gegen polizeiliche Übergriffe

Friedlich und im Gegensatz zum vergangenen Jahr ohne Auseinandersetzungen mit der Polizei ist gestern die jährliche Gedenkkundgebung zur „Reichskristallnacht“ vom 9. November 1938 zu Ende gegangen. Rund 600 Demonstranten – überwiegend Teilnehmer aus dem alternativen, autonomen Spektrum – protestierten gegen Faschismus und Fremdenfeindlichkeit. Die Demonstranten zogen vom Mahnmal in der Levetzowstraße durch Moabit bis zum Spreebogen. In Redebeiträgen und Parolen forderten Gastredner und Demo-Teilnehmer zudem eine liberalere Asylpolitik.

Um sich vor Übergriffen durch die Polizei zu schützen, hatten die Veranstalter Mitglieder bürgerlicher Aktionsgruppen engagiert: Teilnehmer waren neben zwei Vertretern vom Komitee für Grundrechte und Demokratie der ehemalige bündnisgrüne Bundespolitiker Christian Ströbele sowie der Moabiter Bezirksbürgermeister Björn Jensen (ebenfalls Bündnis 90/Die Grünen).

Vor dem Mahnmal, an dem sich vor mehr als 50 Jahren ein zentraler Abschiebebahnhof zur Deportation Berliner Juden befand, hatten die Veranstalter von der Antifaschistischen Initiative Moabit ein Rednerpult für die Kundgebung aufgestellt. Von dort berichteten auch jüdische Überlebende des Holocaust von ihren Erlebnissen: Etwa der 80jährige Paul Ostberg, der bereits 1931 im Alter von 14 Jahren wegen seines angeblich jüdischen Aussehens von einer SA- Bande verprügelt wurde.

Sein Vater, berichtete er, war 1933 mit einem Arbeitsverbot belegt worden. Gemeinsam mit seiner Frau wurde er 1943 vom Moabiter Abschiebebahnhof ins Konzentrationslager Theresienstadt abtransportiert und ermordert.

Gerhard Leo, Gastredner der Initiative gegen Abschiebehaft, wandte sich in diesem Zusammenhang vehement gegen den sogenannten Bonner Asylkompromiß: Auch die neuen Regelungen stellten Asylanten in einen rechtsfreien Raum. Wenn Asylanten etwa ohne dringenden Verdacht einer Straftat ausgewiesen werden können – sobald sie keine gültigen Duldungspapiere oder Visa mehr besitzen.

Die Demonstranten kritisierten zudem die gängige Praxis des Senats, wonach die 2.500 vom Senat beaufsichtigten Ausländer mit abgewiesenen Asylanträgen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nur noch in den sogenannten Sachleistungsmagazinen der Firma Sorat abgespeist werden. Die Demonstrationsredner nannten diese Praxis entwürdigend. Sie behandele Flüchtlinge als Menschen zweiter Klasse. Tilman Weber