Jede Blume ist ein Erfolg

Umweltpolitik spielt in Tunesien eine Rolle. Vor allem im Abwasserbereich hat das Land viel erreicht. Alternative Energien sollen künftig noch stärker genutzt werden  ■ Von Edith Kresta

Ob in Gabes oder in Tabarka, überall in Tunesien trifft der Reisende auf den Boulevard de l'Environement, den „Boulevard Umwelt“. Meistens ist es die Hauptverkehrsader in einer Stadt oder einem großen Dorf. Und immer, selbst im trockensten, heißen Süden, ist dieser Boulevard mit Blumen bepflanzt, die je nach Region mehr oder weniger üppig sprießen. In einem Land, in dem die Wüste sich beharrlich weiterfrißt, ist jede blühende Blume, jedes der Natur abgetrotzte Fleckchen Grün ein Umwelterfolg. Auch der „Boulevard Umwelt“: Damit wirbt die tunesische Regierung für ihre Umweltpolitik. Die Sorge um die Umwelt ist in Tunesien Staatsangelegenheit. Sicher hat auch das ökonomische Zugpferd Tourismus den Blick für die Vergänglichkeit der Ressourcen geschärft. Aber viele andere Probleme forderten Gegenmaßnahmen: Die Wüste wächst, das Wasser wird knapp. Tunesiens 1.300 Kilometer lange sensible Küstenregion muß zum Teil den Massentourismus und die chemische Industrie verkraften. „Wir haben eine äußerst zerbrechliche Natur und knappe Resourcen“, erklärt der Kabinettschef des Umweltministeriums, Ayed Fayez. Er umreißt einige ökologische Problemzonen: „Die Wüste dehnt sich jedes Jahr um etwa 20.000 Hektar aus. Wir müssen mit dem Wasser sparsam umgehen und haben Probleme mit der Versalzung der Böden und des Wassers. Wir müssen Lösungen für die Müllentsorgung und die industrielle Verschmutzung finden.“

Um die schlimmsten Auswirkungen industrieller Verschmutzung einzudämmen, wurde beispielsweise vor einiger Zeit eine schwedische Chemiefirma in der Industriestadt Sfax geschlossen. Jahrelang ließ sie ihren giftigen Dreck ungefiltert ins Meer laufen. „Ein Entwicklungsland, das eine Firma schließt, die vielen Arbeit gibt – das ist fast revolutionär“, meint Ayed Fayez. Doch Sfax ist immer noch eine Umweltkatastrophe. Auch wenn die lokale Umweltinitiative viel erreicht hat. Kläranlagen und Auflagen für die Industrie oder die in Tunesien einmaligen innerstädtischen Fahrradwege künden eine ökologische Zeitenwende an. Doch die alten Umweltsünden sind schwer gutzumachen. Baden gehen ist an den Stränden von Sfax unmöglich.

Inzwischen versucht man, die Probleme an den Wurzeln zu packen. Mit Hilfe deutscher und EU- Gelder wurde ein Unternehmerfonds für betriebliche Umweltschutzmaßnahmen und neue Technologie eingerichtet. Außerdem ist für jedes Großprojekt eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) vorgeschrieben. Die prüfende Instanz ist in Unternehmerkreisen berüchtigt: Der Ruf, autoritär im Sinne der Staatsgewalt durchzugreifen, eilt ihr voraus. Bei Nichteinhaltung der Umweltnormen drohen den Unternehmern Prozesse und harte Strafen. „Die verlangen zu schnell zu viel“, klagt ein Hersteller von Limonade.

Die Bundesrepublik Deutschland ist über Projekte der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und Parteienstiftungen stark im Umweltbereich in Tunesien engagiert. Mit deutscher Hilfe werden derzeit in den Städten an Tunesiens größtem Fluß und Trinkwasserreservoir, dem Mejerda, kontrollierte Müllhalden und Kläranlagen gebaut.

Die GTZ arbeitet auch im Centre International de Technologie de l'Environement de Tunis (CITET). Hier liegt die älteste Kläranlage von Tunis. Sie wurde 1922 erbaut. Schon damals hatte man ein Augenmerk auf saubere Städte. Inzwischen gibt es ungefähr 50 Kläranlagen im Land, 30 davon an der Küste. Etwa 80 Prozent der Bevölkerung sind heute an ein Kanalnetz angeschlossen. „Wenn Sie das mit Griechenland oder Spanien vergleichen, schneidet Tunesien sehr gut ab. In Griechenland sind unter 10 Prozent der Bevölkerung an Kläranlagen angeschlossen“, sagt Dieter Schnell, Projektchef im Technologiepark CITET.

Der Technologiepark ist unter anderem für den Bereich angewandte Forschung zuständig. Darin möchte sich Tunesien profilieren: Es hofft, künftig Drehscheibe für den Technolgietransfer im Umweltbereich zwischen Europa und Afrika zu werden. „Dies ist begründet“, so Dieter Schnell. „Tunesien ist in der Umwelttechnik und Anwendung vor allem im Abwasserbereich ziemlich weit.“

„Bei uns fließt kein ungeklärtes Wasser ins Meer“, sagt Kabinettschef Fayez. „Was ins Meer fließt, wurde zuvor geklärt.“ Das geklärte Wasser wird auch zur Bewässerung von Golfplätzen und Grünstreifen benutzt. Golfplätze sind für Ayed Fayez kein Problem, auch der massenhafte Tourismus an der Küste nicht. „Wir haben eine Studie erstellt über die Erschließungsgrenzen jeder Region“, sagt er. „Im Umweltministeriums zirkulieren bereits Vorstellungen von einem umweltverträglichen, grünen Tourismus.“ Davon ist die touristische Realität Tunesiens weit entfernt, auch wenn man mit den sechs Nationalparks und anderen Naturreserven künftig stärker umweltbewußte Touristen locken will.

„Es wird unheimlich viel Wasser verplempert“, meint Dieter Schnell von der GTZ in Tunis. „Der Luxustourismus im Süden, vor allem in den Oasen ist ein Beispiel. Die Hotels sparen nicht mit Wasser. Und Golfplätze, etwa im wasserarmen Djerba, müssen täglich bewässert werden. Das ist schlichtweg idiotisch“, stellt er fest. Studien gehen davon aus, daß bei gleichbleibendem Wasserverbrauch das Land in 10 bis 15 Jahren Probleme bekommen könnte.

Auch der Grundwasserspiegel ist im Laufe der Jahre immer weiter gesunken. Fährt man über die Insel Djerba oder durch die Oase Tozeur, sieht man viele abgestorbene Palmen. Die Wurzeln reichen nicht mehr bis ans Grundwasser. Djerba und Tozeur sind Paradebeispiele für den Umweltspagat: Hier reiben sich wirtschaftliche Liberalisierung und weiter expandierender Tourismus mit ökologischer Vernunft. Und was ökologisch vernünftig ist, bestimmt der Staat.

Tunesiens Kapital sind seine Landschaft, seine Strände. Außer Phosphat hat es keine Bodenschätze. Dafür ist es verwöhnt mit Wind und Sonne. Diese erneuerbaren Energien werden allerdings noch wenig genutzt. Bis zum Jahr 2005 will die Regierung zehn Prozent des Primärenergiebedarfs mit Sonnenenergie decken. Dafür sollen Gelder internationaler Organistionen zur Verfügung stehen. Bislang gibt es jedoch keine gezielten staatlichen Förderprogramme. So dreht sich zwar in abgelegenen Wüstenregionen manches Windrad, das eine Brunnenpumpe betreibt, sonst bleiben regenerative Energien privater Initiative überlassen. Vielleicht weil Energie kein drängendes Problem ist: Zu günstigen Bedingungen zapft Tunesien bislang Erdgas von den Pipelines seines algerischen Nachbarn. In einigen Straßenzüge von Tunis, ganz in der Nähe des Umweltministeriums, säumen verschiedenfarbige Müllcontainer die Straße. Hier wird gerade ein Mülltrennversuch durchgeführt. Er ist Teil eines großen Investitionsprogrammes im Bereich der Abfallwirtschaft. Gab es in der Vergangenheit nur wilde Deponien, die keine Isolierung nach unten hatten, werden nun kontrollierte Mülldeponien gebaut. Fährt man durch das Land, stößt man immer wieder auf wilde Müllhalden und Plastikmüll, der durch die Landschaft weht. Oder auf heimliche Müllkippen hinter Büschen am schönsten öffentlichen Strand.

In der Nähe des Sportstadions von Tunis weist die knallbunte Tonfigur eines Wüstenfuchses, Labib genannt, den Weg zum Umweltministerium. Labib ist das Umweltmaskottchen. Er ist jedem tunesischen Kind durch Werbung im Fernsehen für saubere Straßen, saubere Strände bekannt. „Wir setzen auf die jüngere Generation“, erklärt Kabinettschef Ayed Fayez. Die bedrohte Natur ist medienwirksames Thema der Politik. Das Umweltengagement ist staatlich verordnet. Mit einigen Erfolgen. Zumindest im Vergleich zu den den maghrebinischen Nachbarländern.