Auf dem Schutt der Geschichte kommen Erinnerungen

■ Am achten Jahrestag des Mauerfalls wurde in der Mitte Berlins der erste Bauabschnitt der geplanten Mauergedenkstätte eingeweiht: Die Mauer soll weitgehend erhalten bleiben

Berlin (taz) – Auf manchen Quadratmetern Boden hat die Geschichte besonders viel Schutt abgeladen. Ein Beispiel dafür ist ein 212 Meter langer Rasenstreifen an der Bernauer Straße im Berliner Bezirk Mitte. Hier stehen nicht nur einige der letzten noch erhaltenen Reste der Berliner Mauer, die von der Abrißwut der ersten Monate nach Grenzöffnung verschont geblieben sind. In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs wurden hier auch Bombenopfer in Massengräbern verscharrt.

Acht Jahre nach der Grenzöffnung wird die Errichtung einer Mauergedenkstätte an eben dieser Stelle in Angriff genommen. In Anwesenheit des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Eberhard Diepgen (CDU), wurde gestern, am achten Jahrestag der Grenzöffnung, der erste Bauabschnitt eingeweiht. Damit nimmt ein jahrelanger Streit um das Areal sein vorläufiges Ende.

In der Öffentlichkeit hatte der Teilabriß von etwa 20 der insgesamt 212 Meter Mauer, dem die Baustadträtin von Mitte, Karin Baumert (PDS), im April dieses Jahres ihre Genehmigung gegeben hatte, große Empörung hervorgerufen. Der Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) sprach gar von einer illegalen „Nacht- und Nebelaktion“. Die Gemeinde der Sophien-Kirche in Mitte, der das Friedhofsgelände gehört, hatte den Teilabriß durchgeführt, um die an diesen Stellen vermuteten Massengräber freizulegen.

Die Baustadträtin Baumert verteidigt den Abriß. Er sei „rechtlich korrekt“ gewesen. Schon 1993 sei in Verhandlungen zwischen Senat und Gemeinde der Kirche die Freiräumung der Massengräber zugesagt worden. Fest steht, daß in diesen Verhandlungen ein Teilabriß der Mauer bis auf 60 Meter vereinbart wurde. Aus diesem Reststück sollte nunmehr eine Mauergedenkstätte entstehen, für die im Jahr darauf ein Ideenwettbewerb ausgeschrieben wurde. 1995 einigte man sich zwischen Senat und Friedhofsgemeinde auf den Entwurf der Architekten Kohlhoff & Kohlhoff. Dieser Entwurf sah lediglich den Erhalt von 60 Metern Mauer vor, jedoch mit dem dazugehörigen kompletten Grenzstreifen. Zwei polierte Stahlplatten sollten dieses Mauerstück im Winkel von 90 Grad abschließen und so ins Unendliche spiegeln.

Das aktuelle Konzept der Gedenkstätte beinhaltet allerdings einige gravierende Veränderungen zu dem ursprünglichen Entwurf. Diese „Kohlhoff-Plus“ genannte Variante ist ein neuer Kompromiß zwischen Senat und Friedhofsgemeinde. Die Mauer bleibt danach, bis auf die bereits herausgetrennten Stücke, in voller Länge erhalten. Im Gegenzug wird ein Mahnmal an die Kriegsopfer des Zweiten Weltkrieges in die Gedenkstätte mit einbezogen. Noel Rademacher