: Nicht heiraten, sondern durchbeißen
Der in Nigeria geborene Mediziner Enyi Okpara sorgt als Trainer des hessischen Handball-Zweitligisten HSG Dutenhofen/Münchholzhausen für mächtig Aufsehen im Europacup ■ Von Richard Laufner
Wetzlar (taz) – „Von Kind an bin ich gewohnt, in der Öffentlichkeit zu stehen“, sagt Enyi Okpara. Damals war er Ministersohn in Ostnigeria. 1969 floh er wegen des Biafrakriegs auf dem Boden eines Cargoflugzeugs, das Waffen transportiert hatte. In der mittelhessischen Dorfschule bei Wetzlar war der 13jährige dann das einzige Afrokid. Auch auf dem Handballfeld fiel er auf. Was selbst in dieser Sportart bisweilen zu rassistischen Schmähungen des Linksaußens und 11,1-Sprinters führte.
Heute ist Enyi Okpara 41 und steht als Trainer in der Öffentlichkeit. Wenn das Regionalfernsehen ins Studio lädt, heißt es: „Enyi, fahr du hin.“ Das macht er mit, weil einer diese Rolle übernehmen muß. Und weil er solche öffentlichen Auftritte eben seit der Kindheit gewohnt ist – selbst wenn ihm das eigentlich nicht besonders schmeckt.
In dieser Woche sind sein Klub und er bundesweit in den Schlagzeilen. Nach dem 24:16 über Sporting Lissabon hat die HSG Dutenhofen/Münchholzhausen gute Aussichten, das Viertelfinale im Europapokal der Pokalsieger zu erreichen – als Zweitligist.
In der Vorsaison hatte man den Erstligaaufstieg knapp verpaßt, war aber als erster deutscher Zweitligist in den Europapokal gerutscht, weil der siegreiche Pokalendspielgegner TBV Lemgo in der Champions League spielt. Und hatte dort mit zwei Siegen über Steaua Bukarest das Achtelfinale erreicht. Oberste Priorität für den Zweitliga-Tabellenführer mit dem 900.000-Mark-Etat hat aber die Liga. „Wir haben seit Jahren in der Liga vorne mitgespielt“, sagt Okpara und zieht an seiner Gauloise: „Wir wollen aufsteigen, sonst werden die Sponsoren müde.“ Das klingt mehr nach Pflichterfüllung, als nach innerem Feuer. Kampf- und Laufstärke sind die Tugenden seines Teams. „Durchbeißen“ ist eine Vokabel von Enyi Okpara. Denn das hat er selbst gelernt. Als Sportler und als erfolgreicher Student der Medizin in Gießen.
Das mußte er auch, als ihm als nichteuropäischem Ausländer nach einem Jahr Urologie und zweieinhalb Jahren Chirurgie die angestrebte Urologen-Assistenzarztstelle verweigert wurde. „Sie sehen doch nicht schlecht aus, heiraten Sie doch“, hat man ihm bei der Zentralvermittlungsstelle in Frankfurt damals geraten.
Damals war er drauf und dran, seine Zelte abzubrechen und als Arzt in die USA zu gehen. Den geforderten Prüfungsmarathon hatte er bereits erfolgreich absolviert. „Danach war ich im Geiste frei.“ Er blieb. Ein Angebot als Gaststätten-Geschäftsführer in Gießen erleicherte ihm die Entscheidung. Später sicherlich auch Conny, eine Juristin. Die hat er kürzlich tatsächlich geheiratet. Und da war natürlich der Handball.
Okpara schätzt die „Zielstrebigkeit und Präzision der Deutschen“. Soziale Bodenhaftung, zwischenmenschliche Beziehungen sind Okpara wichtig. Da hat er hierzulande trotz einzigartigem Sozialsystem Defizite ausgemacht. Bei der Mannschaft und im Verein schätzt man den familiären Ton des Akademikers, der den heimischen Dialekt drauf hat.
In den unscheinbaren mittelhessischen Dörfern mit Landwirtschafts-Odeur ist Handball der Mittelpunkt. Wenn die HSG spielt, sind die Straßen ringsum zugeparkt, und Leute zwischen fünf und fünfundachtzig füllen die etwas heruntergekommenen Sporthalle. Am Samstag gegen Lissabon quetschten sich 1.350 Leute rein.
Im Spiel ist Okpara der Frontman auf der Trainerbank. Natürlich bleibt er dabei nicht immer cool. Aber er stilisiert sich nicht zum Magier oder Schamanen. In der Hitze des Gefechts, so hat er festgestellt, sind es auf dem Feld nicht unbedingt die vier Vollprofis und Nationalspieler Patrick Rohr (Schweiz), Torwart Sindre Walstad (Norwegen), Björn Monnberg (Finnland) und Damir Radoncic (Mazedonien), die die Nerven bewahren. Sondern diejenigen, die mit Leistungssport und Beruf unter Doppelbelastung stehen.
Würde ihn eine Rolle beim Aufbau des Hallenhandballs in Nigeria reizen? „Ja – da gibt es unheimlich viele Talente, die bereit sind, die Tortur mitzumachen.“ Zwei Nationalspieler spielen in der Bundesliga. Eine Infrastruktur müßte aber im bevölkerungsreichsten afrikanischen Land erst aufgebaut werden, in dem Mutter und Bruder eine Maismühle betreiben. Enyi Okpara fühlt sich in erster Linie als Ibo. „Ich halte nichts von Patriotismus. Nigeria ist eine Militärdiktatur.“ Bleibt seine zweite Heimat.
Trotz der dort einsetzenden Euro-Euphorie gibt sich der Trainer bodenständig-nüchtern. Am Sonntag muß man nach Lissabon, und acht Tore, sagt er, sind zwar „ein gutes, aber kein sicheres Polster“. Überhaupt: „Europapokal ist Kür, der Aufstieg in die erste Liga Pflicht“, sagt Enyi Okpara und legt eine weitere Ethno-Jazz-CD auf. Kreativität muß sein. Zielstrebigkeit aber auch.
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