Selbständige sind rar in Deutschland. Obwohl Politiker jeglicher Couleur immer wieder fordern, Selbständige sollten den Wirtschaftsstandort Deutschland wieder nach vorn bringen, schrecken Kapitalmangel und übermäßige Bürokratie willige Existenzgründer ab. Von Ulrike Fokken

Junge Leute mit Geld braucht das Land

Eigentlich suchte Stephan Schambach 1991 nur einen Job. In den Semesterferien wollte der Physikstudent aus Jena im neuen Kapitalismus ein wenig Geld verdienen. „Aber mich wollte niemand einstellen“, sagt Schambach. Er habe ja keine Berufserfahrung, hieß es. Heute lacht der 27jährige über den damaligen Frust. Denn sechs Jahre später ist er Geschäftsführer des Weltmarktführers für Internetprogramme, mit denen Geschäfte elektronischen Handel betreiben können. 180 Menschen beschäftigt Schambach in seiner Firma „Intershop Communications“. Den Unternehmenssitz hat er von Jena nach San Francisco verlegt, die Betriebe in Deutschland, Frankreich und Großbritannien aber gehalten.

Selbständige sind rar in Deutschland. Nur noch 9,5 Prozent der Bevölkerung verdienen ihr Geld mit selbständiger unternehmerischer Arbeit. In den 50er Jahren schafften noch 19 Prozent der Westdeutschen im eigenen Betrieb. Doch seit den 70er Jahren siechen und schwinden die kleinen und mittleren Unternehmer. Sie konnten sich die Sozialbeiträge für ihre Arbeitnehmer nicht mehr leisten, investierten nicht schnell genug in moderne Maschinen, führten ihre Betriebe wie im 19. Jahrhundert. Ihre Produkte veralteten, waren zu teuer, nicht mehr wettbewerbsfähig. Die globalisierte Wirtschaft dünnte in den 80er und 90er Jahren die selbständig geführten Unternehmen weiter aus.

Heute sollen Selbständige den Standort Deutschland wieder nach vorn bringen. Innovative Produkte sollen die jungen Unternehmer entwickeln, die 4,3 Millionen Arbeitslosen beschäftigen und den Staatshaushalt mit ihren Steuern entlasten. Das Problem ist nur: Den Deutschen fehlt der Mut zur Selbständigkeit, wie Herbert Henzler, Chef einer der weltweit führenden Unternehmensberatungen, McKinsey, meint.

Physikstudent Stephan Schambach hatte Mut. Nach der mißglückten Jobsuche tat er sich mit neun anderen Studenten zusammen. Im Souterrain einer Jenaer Gründerzeitvilla richteten sie einen Laden für Computer und Zubehör ein. Potentielle Kunden gab es in der Universitätsstadt genug, einen Wettbewerber konnten Schambach und seine Kollegen in der näheren Umgebung nicht ausmachen. Bald drängelten sich aber zu oft zu viele Kunden in der alten Villa und hielten die Verkäufer mit Kleinkram auf. „Außerdem war das langweilig“, sagt Schambach. Also entwickelten die Jungunternehmer eine Software, mit der die Kunden die Intershop-Produkte von zu Hause über das Internet einkaufen konnten.

13.000 Artikel boten sie im ersten virtuellen Kaufhaus Deutschlands an. Die Idee war klasse, das wußten die Intershop-Betreiber. Und die Software für den Internet- Handel gab es weltweit noch nicht. Aber wie sollten sie ihr Produkt verkaufen? Wie es bekannt machen? Investitionskapital hatte Schambach nicht, der Laden warf gerade genug Geld zum Überleben ab. Aber in Schambach bohrte der Wille zum Erfolg. Er gab eine Anzeige in der FAZ auf, um Geldgeber zu finden.

An Geld mangelt es den meisten Selbständigen. Und wer in Deutschland kein Geld hat, kommt nur schwer an welches heran. Die meisten Selbständigen gehen zuerst zu einer Bank. Die fordert „ein überzeugendes Konzept“, wie Armin Niedermeier von der Deutschen Bank sagt. Dazu gehören technische Zeichnungen, Kostenkalkulationen, eine Abwägung der Marktchancen und eben auch Sicherheiten. Wer also Vaters Erbe schon aufgebraucht hat und Mutters Eigenheim nicht belasten kann, hat schlechte Chancen, einen Kredit zu bekommen.

Entscheidet sich die Bank allerdings für das Geldverleihen, muß der Selbständige feilschen. Für Firmenkunden gibt es „individuelle Zinsen“, wie Niedermeier gesteht. Nach „gewissen Standards“ zwar, aber dennoch flexibel, hängen die Kosten für die Kredite vom Verhandlungsgeschick des Unternehmers ab. Überzeugen Pläne und Charakterstärke des angehenden Selbständigen, kann er zinsgünstige Kredite der staatlichen Förderprogramme beantragen. Die gibt es unter anderem von der Deutschen Ausgleichsbank, aber auch von den Landesbanken. Da mittellose, aber geschäftstüchtige und innovative Menschen in Deutschland kaum Zugang zu Kapital haben, investieren seit rund fünf Jahren auch Risikokapitalgesellschaften.

Schambach hatte Glück. Im Herbst 1995 meldete sich die „Technologieholding“ bei ihm. Die jungen Männer im grauen Anzug mit Weste boten Stephan Schambach eine halbe Million Mark an. Nachdem sie die Marktchancen für elektronischen Handel via Internet – Fachjargon: eCommerce – ausgelotet hatten, folgten weitere Millionen. In den vergangenen 18 Monaten hat Schambach zehn Millionen Mark Investitionskapital von der Risikokapitalgesellschaft bekommen, die dafür 39,8 Prozent an Intershop hält. Im nächsten Jahr wollen die Investoren das Unternehmen an die Frankfurter Börse bringen; am sogenannten Neuen Markt können seit Frühjahr junge Unternehmen unter erleichterten Bedingungen an die Börse gehen.

Dann zahlt sich das Investment der Technologieholding in die Jenaer Existenzgründung aus. Bis zu 30 Millionen Mark hoffen die Investoren an Intershop zu verdienen. Das ist selbst für die einzig an Gewinnmaximierung interessierte Kapitalgesellschaft ein enormer Gewinn. „Normalerweise rechnen wir mit 50 bis 100 Prozent Wertsteigerung in vier Jahren“, sagt Stefan Friese, Investmentberater der Technologieholding. Renditen von durchschnittlich 56 Prozent bringen Anleger auch dazu, ihr Geld in die Fonds der Risikokapitalgesellschaften zu stecken.

Willige Selbständige haben in Deutschland nicht nur mit mangelndem Investitionskapital zu kämpfen. „Von der Gründungsidee bis zu dem Zeitpunkt, wo die Firma dann beginnen kann, vergehen neun bis zwölf Monate“, hat Silke Baumann, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Junger Unternehmer, festgestellt. Denn die Verwaltung arbeitet langsam. Wer seine Firma als Gesellschaft mit beschränkter Haftung führen möchte, kann bis zu zwei Jahre auf die Eintragung ins Handelsregister warten.

Und dann pfuscht die Bürokratie den Selbständigen weiter ins Geschäft. Handwerker etwa dürfen sich so lange nicht selbständig machen, bis sie nicht in die mittelalterliche Handwerksrolle eingetragen sind. Stellen Selbständige Anträge für die staatlichen Förderprogramme, warten sie nicht nur zwei bis drei Monate auf die Bearbeitung durch die Beamten. Ist der zinsgünstige Kredit endlich genehmigt, verschleppen die einzig dafür zuständigen Privatbanken die Auszahlung des Kredits. Bis zu zehn Wochen, sagt Baumann, sitzen Banken auf den Kreditermächtigungen, um den dringend auf Kapital angewiesenen Selbständigen ihre eigenen Kredite unterzujubeln. Zu weit schlechteren Bedingungen, versteht sich.

„Aber die Politiker sind unser wichtigstes Standortproblem“, sagt Gerd Habermann von der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer. Ein US-amerikanisches Wirtschaftsforschungsinstitut hat jüngst festgestellt, daß Deutschland in einer Liste der wirtschaftlichen Freiheit auf Platz 25 rangiert – direkt vor Bolivien.