■ Vorschlag: „The Band“ im carrousel Theater
Gegen Ende der Pause fängt es vorne an zu stinken. Dicker noch als im Foyer wabern die Schwaden unter dem Vorhang hervor, ätzen ganz authentisch in der Nase und stellen die Rockkonzerttauglichkeit der Augen auf die Probe. Als der Vorhang sich verzieht, gibt der Nebel sechs Gestalten frei: Quietschbunte Pilz- und Bubiköpfe, viel Raubtier, Rüschen, Lack und Straß am Leib und dazwischen gottserbärmlich dämliche Gesichter. Der lässige Blick ist rauchgeschwängert-tränig, und ganz unten probieren die Beine, was ganz oben noch nicht angekommen ist: Klickediklack – Technostep.
Wir sind weder in einem Kuriostätenkabinett noch auf einem Talentwettbewerb. Wir sind im Jugendtheater, wo obercoole, egomanische Twentysomethings krampfhaft nach dem Weg suchen, der ganz nach oben führt. Im carrousel Theater wurde „The Band“ uraufgeführt, das erste Musical dort überhaupt. Die Texte haben Peter Dehler (der auch Regie führte) und carrousel-Intendant Manuel Schöbel verfaßt, die Musik stammt von Thomas Schmidt und führt einmal quer durch die Krautrock-Landschaft der Neunziger. Mal blasphemisch frech, mal gefühlstriefend kitschig bewegt sich das Rappen, Röhren und schmachtende Hauchen erfreulich oft diesseits der Peinlichkeitsschwelle. Zwischen den Songs aber spielt die Geschichte. Und die hat einige Mühe, sich ihren Raum zu erobern. Buchstäblich. Denn die leere Bühne ist so eindeutig aufs Musikmachen ausgerichtet, daß die Schauspieler anfangs verloren wirken, mit zu großen Gesten, zu forcierten Allüren. Erst später lockern emotionale Farbschattierungen das Schwarz der Bühne auf.
Bis zur Pause werden die Typen gegeneinandergestellt. Die liebenswert-kauzige Checker (Marko Bräutigam) gegen den fahrig abgedrehten Rio (Arnim Beutel), die laszive Julia (Chiaretta Schörnig) gegen die unsichere Katja (Sabine Liebisch). Zusammen mit dem angegrauten Höhenflieger Otto (Andreas Keller) und dem abgestürzten E-Computer-Junkie Sample (Sebastian Reusse) bilden sie die krisenanfälligste Notgemeinschaft, die man sich denken kann. Nach der Pause sind die Krisen dann zur Stelle, Lebenslügen, Träume und Beziehungen zerbrechen – und am Ende gibt es vielleicht doch so etwas wie eine gemeinsame Zukunft. Die Stimmung im Publikum jedenfalls hat annäherend Konzertniveau erreicht, und die Mädels bejubeln Rio und Checker, als habe sich deren Traum längst erfüllt. Sabine Leucht
Wieder am 18.11., 18 Uhr, carrousel Theater an der Parkaue (29)
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