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Die Quadratur des Leibes

Erklärt wird nichts: Bei den Nordischen Filmtagen in Lübeck hatte der lang erwartete zweite Teil von Lars von Triers „Kingdom“ Deutschlandpremiere. Man traf sich mit „Kingdom“-Gruß und „Kingdom“-Lied – ein Kinostart steht noch nicht fest  ■ Von Birgit Glombitza

Die Kunstfehler sind zurück. Sie sind heimgekehrt ins Königreich des dänischen Seelenwärters Lars von Trier. Drei zähe Jahre mußten die Trieraner auf „Kingdom II“ warten. Vergangenes Wochenende endlich traf man sich zur Soap-Séance bei der Deutschlandpremiere auf den Lübecker Filmtagen. Eine überschaubare Gruppe Eingeweihter begrüßte sich mit dem „Kingdom“-Gruß (Faust machen, Daumen und kleinen Finger wie Teufelhörnchen abstrecken) und lächelte sich mit Kennerblick zu. Anders als David Lynchs „Twin Peaks“ (RTL) mußte sich „Kingdom“ in Deutschland über die Schleichwege der dritten TV-Programme einen Weg zu seiner Gemeinde bahnen. Und nur im dänischen Fernsehen erreichte die Serie spielend 25 Prozent der TV-Nation. Doch egal wie viele Zuschauer Trier vor die Glotze gezogen hat – angefixt hat er sie alle.

Die zweite Staffel seiner Lobotomie setzt nahtlos dort an, wo die erste aufgehört hat. Ränkespiele unter den Computertomographie- Berechtigten, Intrigen unter Kopfdieben und Voodoostiche für die Konkurrenz. Das restliche Ärztepersonal diagnostiziert sich weiter wund. In Selbstversuchen mit krebszerfledderten Leber-Implantaten strebt es mit Professor Bondo (Bard Owe) nach kranken Gigantomien und probt in Schlafüberwachungen und pathologischen Vermessungsorgien die Quadratur des Leibes. Mit einer Hartnäckigkeit jenseits aller Vernunft stemmt sich die Medizinerschaft im faulen Kleinstaat gegen die Logik des Offensichtlichen. Und wenn sie auch vor Geisterschluchzen ihr eigenes Wort kaum verstehen kann: Routine hat das Denken unter Narkose gesetzt. Da kann Udo Kier als Riesenbaby seinen bösen Kern nach außen stülpen, bis er schwarz wird. Das Hospital schluckt auch das und ist zusammen mit dem Gesundheitsminister stolz auf sein umfassendes Versorgungsangebot. Im Kingdom wird man geboren, hier wird gestorben, und manche kommen sogar nach dem Tod wieder. Wenn auch nur, um das ein oder andere zu reklamieren.

„Kingdom II“ ist eine fünfstündige Operation nach bewährtem Rezept. David Lynch assistiert mit der Schere, Stanley Kubrick reicht aseptische Tupfer. Aufzüge und Korridore, die sich in Schräglagen wichtig machen, zahnsteinfarbene Bilder mit aufgerauhter Oberfläche, spastische Einstellungen, die von einer Brennweite zur anderen hüpfen. Kalkulierte Kunstfehler eben, auf denen sich Ungläubige und Gespenster tummeln.

Die Geister sind zahlreicher, deprimierter und unschärfer geworden. Das paßt prima, denn auch um die Ärzte steht es nicht zum besten. Chefarzt Dr. Moesgard (Holger Hansen) hat seine Bemühungen zur Verbesserung des Betriebsklimas in den Wind geschossen und krault nun bei einer Selbsthilfegruppe durch imaginäres Fruchtwasser. Auch Frau Drusse (Kirsten Rolfes) geht es elend. Und diesmal hat die passionierte Simulantin nicht vorher im neurologischen Handbuch nachgeschlagen. Ein Krankenwagen hat die Hoffnung aller gequälten Untoten aus dem Seelenkeller des Krankenhauses umgenietet. Denn rasende Geisterfahrten sind jetzt der letzte Schrei im Kingdom. In fünf Minuten mit zusammengekniffenen Augen durch den entgegenkommenden Stoßverkehr – das schlägt jede Bypass-Operation.

Dr. Helmers (Ernst Hugo Järegard) Volvo hat es ebenfalls erwischt. Da hilft dem Exilschweden auch kein patriotisches Stoßgebet. Mit einem Elektroauto fährt er jetzt gleich bis in den 3. Stock zur Neurologie vor. Dort liegen die OP-Steckdosen einfach günstiger. Zum Teufel mit dem Patienten unter der Herz-Lungen-Maschine. Der schlechtgelaunte Helmer hat ganz andere Sorgen, muß er doch erfahren, daß auch Ärzte sterben können. Auf Anraten eines Kollegen studiert er fortan die Schwimmrichtung seines Stuhlgangs und begrüßt jedes Treibstück wie einen Nachkommen.

Lars von Trier ist unverkennbar hingerissen von der Lust an der Heimsuchung. Führte er in „Breaking the Waves“ noch andächtig über den Blick Gottes Regie, dirigiert er jetzt die Schaulust des Antichristen. Teufels-Augenblicke werden in galliges Grün getunkt. Eine kontrahierende Iris markiert am Bildrand den Orkus, daneben übt Bondos hörige Studentenschaft faschistische Handgrüße. Hier wird nichs mehr erklärt. Der Grundkurs zur Pathologie des Kingdom wird vorausgesetzt. Von Trier schöpft aus dem vollen, verordnet nun auch Pathos und herzzerreißendes Melodram. Und wenn sich die verwachsene Dämonenbrut unter den Augen der Mutterärztin Judith (Brigitta Raaberg) in Schmerzen windet und höflich um seinen Tod bittet, dann reichen alle Leichentücher im ganzen Kingdom nicht als Schneuztuch.

„Kingdom II“ setzt Triers spiritistische Sitzung als zum Verrücktwerden ansteckende Krankheit glanzvoll fort. Und die Gemeinde grummelt zufrieden ihr Kingdom-Lied. Selige Gespensterstunden, die trotz TV-Formats nicht in die Glotze gehören, sondern ins Kino. Erst beim breitwandigen Sehmarathon läuft ihr prächtiger Irrsinn heiß. Kaum eine Seifenoper hat es bisher geschafft, den Kult des Seriellen so leichthändig in den albernen Zeremonien ihres Soap-Personals widerzuspiegeln und dabei immer wieder neu zu variieren. Da macht es auch nichts, wenn von Triers Katholizismus dem donnerwolkigen Katechismus von Jeremias Gotthelfs „Schwarzer Spinne“ näher steht als einer sich selbst genügenden LSD- Party.

Ob „Kingdom II“, der in diesem Jahr in Cannes umjubelt wurde, bei uns jemals in die Kinos kommt, ist unklar. Auch das Fernsehen gibt sich noch zurückhaltend. Eine Synchronisation oder Untertitelung für ein paar Teufelchenfäuste sei zu teuer und fünf Stunden zulang, heißt es. Doch vorerst hat der Tod im Königreich das Schlußwort. Mit Bärtchen und schwarzem Existentialistenrolli hockt er auf dem Rücksitz eines Krankenwagens, der gerade mit einem Frontalcrash die Klinikwetten versaut hat. Ein sympathischer Kerl, und so natürlich. Vielleicht wird er der hysterischen Körperverwertungsanstalt die Erlösung bringen. Das Schlußinlet „to be continued“ jedenfalls klingt wie ein Versprechen.

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