: Likud gibt Netanjahu mehr Macht
Israels Regierungspartei schafft das System der Vorwahlen für die Kandidatenbestimmung ab. Nun entscheidet das Zentralkomitee allein. Aber die Manöver des Regierungschefs stoßen auf Kritik ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen
Die israelische Regierungspartei Likud hat Dienstag nacht auf ihrem Parteitag in Tel Aviv beschlossen, die Vorwahlen zu streichen. Gut 60 Prozent der Delegierten votierten dafür, daß zukünftig wieder das Zentralkomitee der Partei über die Auswahl der Parlamentskandidaten und deren Listenplatz entscheidet. Zugleich räumten die Delegierten durch Abänderung einer Reihe von parteiinternen Verfahren Ministerpräsident und Parteichef Benjamin Netanjahu eine Machtfülle ein, wie es sie in der Geschichte des Likud bisher nicht gegeben hat.
Nicht zuletzt deshalb war der Entscheidung ein langer Streit vorausgegangen. Ursprünglich standen sich zwei Positionen gegenüber. Die Befürworter von Vorwahlen argumentierten, daß allein dieses System eine breite demokratische Beteiligung der Parteimitglieder bei der Auswahl der Kandidaten garantiere. Das knapp 3.000köpfige Zentralkomitee sei dagegen „Netanjahu-hörig“. Die Gegner verwiesen darauf, daß bei Vorwahlen nur wohlhabende und bekannte Personen die Chance auf einen aussichtsreichen Listenplatz hätten. Einfache Parteimitglieder könnten sich eine aufwendige Wahlkampagne nicht leisten.
Netanjahu, der als eigentlicher Betreiber dieses Antrages angesehen wurde, gab sich öffentlich unentschieden und nachdenklich. Kurz vor der Eröffnung des Parteitages am Sonntag abend ließ er sich sogar von seinen eigenen Likud- Ministern einen Kompromiß abringen, nach dem erst ein weiterer Parteitag im Februar über die Art und Weise der Kandidatenauswahl entscheiden sollte. Noch am Montag abend unterstützte Netanjahu in einer Rede auf dem Parteitag diese Position öffentlich. Das Scheitern eines Netanjahu-Protegés bei der Wahl des Parteitagspräsidenten schien zunächst anzudeuten, daß auch die Delegierten zu diesem Kompromiß neigten.
Doch am Dienstag zeigte Netanjahu eine Demonstration seiner Macht. Überraschend wies er den ursprünglichen sowie eine Reihe weiterer Kompromißvorschläge zurück. In der Nacht entschieden die Delegierten dann mit einer Mehrheit von 77 Prozent, die ursprüngliche Tagesordnung abzuändern und sofort über die Absetzung der Vorwahlen abzustimmen.
Zahlreiche führende Parteimitglieder fühlten sich vom Verhalten Netanjahus betrogen. Sein parteiinterner Gegenspieler, Ex-Finanzminister Dan Meridor, erklärte gestern, Netanjahu verleugne die ideologischen Prinzipien und demokratischen Wurzeln des Likud. „Jetzt verstehen viele meine Kritik viel besser“, sagte er. Ein Delegierter erklärte gegenüber der Tageszeitung Haaretz: „Der Likud ist keine Partei mehr. Was hier in den vergangenen zwei Tagen geschehen ist, ähnelt mehr der italienischen Mafia.“ Andere Delegierte sagten, daß sie ihre Parteibeiträge jetzt nicht mehr zahlen würden. Der Likud-Bürgermeister von Tel Aviv, Roni Milo, warnte vor einer Spaltung der Partei. „Niemand darf jetzt die Partei verlassen“, sagte er gegenüber dem israelischen Rundfunk. „Wir müssen alles tun, um die Partei zu erneuern.“
Das Büro von Netanjahu verbreitete dagegen eine Erklärung, in der es hieß, daß die Entscheidung in einer demokratischen Abstimmung von einer klaren Mehrheit des Parteitages getroffen worden und deshalb auch zu respektieren sei.
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