„Eine wirklich schlimme Sache“

■ Zweiter Brandanschlag auf Lübecker Synagoge/ Auch ein Wohnhaus brannte/ Bündnis gegen Rassismus vermutet Zusammenhang Von Sannah Koch

Sonnenbeschienene Puppenstubenharmonie: Die Straßencafés in der Lübecker Altstadt sind gut gefüllt, die Parkbänke alle besetzt, selbst die Punks dösen ruhig in der Sonne. Erst ein Blick in die St.-Annen-Straße offenbart, daß der Frieden hier einem Ausnahmeszustand weichen mußte – Polizeifahrzeuge auf dem Gehweg, uniformierte Wachen vor dem Tor, etwa 40 Menschen haben sich auf der Straße versammelt. Die Lübecker Synagoge ist zum zweiten Mal innerhalb von 14 Monaten zum Ziel rechtsextremer Attentäter geworden: In der Nacht zum 7. Mai zündeten Unbekannte einen Steinschuppen hinter dem jüdischen Gebetshaus an, der völlig ausbrannte. Zwei weitere Brandsätze im Treppenhaus des Seiteneingangs und an der Tür zum Haupteingang richteten keinen Schaden an; Menschen wurden nicht verletzt.

Zwei Monate nachdem vier jugendliche Brandstifter, die im vergangen März in der Synagoge Feuer gelegt hatten, zu Haftstrafen von zweieinhalb bis vier Jahren verurteilt worden sind, muß die Bundesanwaltschaft nun erneut nach rechten Gewalttätern fahnden.

Viele Bewohner der Hansestadt flanieren bei ihrem Sonntagsspaziergang an der Synagoge vorbei. Einige bleiben neugierig stehen, hier und da wird diskutiert, Ratlosigkeit beherrscht die Szene. „Da findest du keine Worte“, meint eine beredt wirkende Frau; „Was soll man tun, man kann schließlich nicht überall Polizei postieren“, ein junger Mann. „Alle Naziorganisationen verbieten – konsequent gegen rechts“, schlägt eine Gruppe auf einem Transparent vor, das sie an der Mauer vor dem Gebetshaus befestigt hat. Andere Bürger drücken ihr Mitgefühl mit Blumen aus, die sie auf der Mauer niedergelegt haben.

Lübecks Bürgermeister Michael Bouteiller und Gerd Walter, Schleswig-Holsteins Minister für Europaangelegenheiten, treten mittags nach einem Gespräch mit Vertretern der jüdischen Gemeinde vor das Gebetshaus. „Da drinnen sind jetzt einige Menschen sehr traurig“, erklärt Walter, und: „Eine wirklich schlimme Sache.“ Der Bürgermeister betont eindrücklich, Lübeck sei kein rechtsradikales Pflaster, es werde als Symbol benutzt. Für ihn steht fest: „Die Bundesregierung muß sich endlich zu eindeutigen Erklärungen gegen den Rechtsextremismus durchringen.“ Der 50. Jahrestag der Befreiung, so Bouteiller, könne auch als Anfang begriffen werden, als Chance, mit dem Verurteilen zu beginnen. Walter und Bouteiller unisono: „Der Kanzler muß nun durch einen Besuch in Lübeck ein Zeichen setzen.“

In der Nacht zum Sonntag hat es jedoch nicht nur in der Synagoge gebrannt – zwei weitere Brände mußte die Feuerwehr fast zeitgleich löschen. Aus einem Wohnhaus in der Hundestraße 92 wurden zwölf Bewohner evakuiert , einige erlitten Rauchvergiftungen. Noch am Nachmittag steht die Haustür weit offen, die Wände von Hausflur und Kellertreppe sind verrußt, es stinkt nach Qualm. Das dritte Feuer wurde in einem Sportcenter gelegt. Einige Lübecker mutmaßen, daß zwischen den Bränden ein Zusammenhang bestehen könnte, eine Möglichkeit, die der Leiter der Polizeidirektion Schleswig-Holstein Süd, Winfried Tabarelli, gestern ausschloß. In der Hundestraße wohnen einige Mitglieder des Lübecker Bündnisses gegen Rassismus, das in den vergangenen Wochen besonders rege Öffentlichkeitsarbeit betrieben hat. Vor drei Wochen sei ein Mitglied, das in der Hundestraße 88 wohnt, telefonisch bedroht worden, berichtet ein Bündnis-Aktivist. „Bald werden wir die gesamte Hundestraße abbrennen“, so die Drohung des anonymen Anrufers.

Die Polizei habe sich hilflos gezeigt; abwarten, ob sich der Vorfall wiederhole, habe man ihnen geraten. Für dieses Bündnis-Mitglied gilt die Hansestadt seit zehn Jahren als „Hochburg der Rechten“. Eine militante Rechte gebe es auch; nach seinen Einschätzungen allerdings keine organisierte.

Die Jüdische Organisation Norddeutscher Studenten (JONS) feierte am Nachmittag in der Synagoge einen „Gottesdienst der jüdischen Jugend“. Für den Abend hatte das Lübecker Bündnis und der Bürgermeister zu einer Protestdemonstration aufgerufen. Daran wollte auch die Kieler Regierungschefin Heide Simonis teilnehmen.

Siehe auch Bericht Seite 14