„Barrierefreies Hamburg“

■ Behinderte protestierten gestern gegen „Bioethik“ und Pflegeversicherung

„50 Jahre Befreiung – und das Lebensrecht von behinderten Menschen wird immer noch in Frage gestellt!“ Mit scharfen Worten rückten gestern Hamburgs Behinderten-Organisationen europäischen Plänen zu Leibe, eine „Bioethikkonvention“ einzuführen. Bei einem europaweiten Aktiontag demonstrierten auf dem Gänsemarkt etwa 300 Betroffene, Angehörige und Pflegepersonal für die Gleichstellung behinderter Menschen.

„Die Diskussion um lebenswertes und lebensunwertes Leben ist noch immer nicht verstummt“, sagte Bärbel Mickler, Sozialpädagogin bei „Autonom Leben“. Eine europaweite Bioethikkonvention sei in Arbeit, „in der der Lebenswert behinderter Menschen zur Diskussion gestellt und die Forschung an ihnen geregelt werden soll“.

„Entwürdigung beginnt mit Diskriminierung“, stellte Hannelore Wittkowski vom Anti-Euthanasie-Forum fest. Die ungleiche Verteilung von Rechten solle wohl als „natürlich“ in den Köpfen der Menschen verankert werden. Die geplante Konvention, die bis zum Juli von 32 europäischen Staaten diskutiert werden soll, gefährdet nach Ansicht der KritikerInnen den Schutz von Behinderten.

Als „Mogelpackung“ empfinden auf Hilfe angewiesene Behinderte auch die hochgelobte Pflegeversicherung. „Die ist für sehr viele Behinderte eine materielle Verschlechterung“, schimpft Gerlef Gleiss von Autonom Leben. Da nur etwa 60 Prozent der Pflegebedürftigen überhaupt Anspruch auf Leistungen hätten, sei der Rest auch weiterhin nicht „aus der Abhängigkeit vom Sozialamt befreit“.

Hamburgs Behinderten-Organisationen verlangen deshalb nicht nur ein über die verfassungsrechtlich verankerte „Gleichstellung“ hinausgehendes Anti-Diskriminierungsgesetz, sondern einen grundsätzlich anderen Umgang mit behinderten Menschen und ihren Rechten. „Wir fordern den Stopp der Kosten-Nutzen-Rechnung im Zusammenhang mit dem Lebensrecht Behinderter“, so Mickler.

In Anerkennung der schlichten Erkenntnis „Verschiedenheit ist normal“ und „lieber lebendig als normal“ – so die Demo-Transparente – sollte in Hamburg endlich freie Fahrt für Rollis Wirklichkeit werden. Denn: Erst Barrieren machen behindert. Silke Mertins