Höhen und Tiefen des Gedenkens

■ Staatsakt: Prinz Charles hält Krieg für „unerklärliches Paradox“ / Hellmut Kalbitzer warnt vor „ideologischem Unterfutter“ Von Silke Mertins

Einen Krieg zwischen Großbritannien und Deutschland wird es „nie wieder geben“; der britische Thronfolger Prinz Charles, der zum 50. Jahrestage vor 20.000 HamburgerInnen auf dem Rathausmarkt zum Ende des 2. Weltkrieges – auf deutsch! – sprach, gab sich betont versöhnlich.

Vertrauen und Freundschaft sei an die Stelle von Haß und Vorurteilen getreten. Dabei sparte der 46jährige Blaublüter nicht mit Lob. Zwar hätte das britische Militär eine „helfende Rolle“ gespielt, „aber Sie, die Bürger von Hamburg, haben die Stadt zu dem gemacht, was sie heute ist“. Armeen könnten wohl Diktatoren beseitigen, aber „Freiheit muß von innen heraus kommen.“ Gedenktage, so Charles, seien dazu da, „daß wir der Toten auf beiden Seiten gedenken und um sie trauern.“

Den Krieg selbst mag der Prinz aber deshalb nicht verteufeln, denn nach königlicher Lesart ist bei allem, was über den 2. Weltkrieg gesagt und geschrieben wurde, eines gewiß: „Der Krieg ist ein unerklärliches Paradox.“ Er sei eine Mischung aus tiefster Tragik und größtem persönlichen Mut, zeuge von schlimmster Entartung, aber auch selbstloser Aufopferung. „Er dringt bis in die tiefsten Tiefen, aber auch zu den höchsten Höhen menschlichen Denkens und Handelns“, brillierte der Prinz.

Weitaus nachdenklicher und kritischer gab sich der 81jährige Hamburger Zeitzeuge Hellmut Kalbitzer. In seiner Rede erinnert der ehemalige Widerstandskämpfer daran, daß er bei Kriegsende den Rathausmarkt voller „jubelnder, befreiter ausländischer Zwangsarbeiter“ vorfand. „Ich schien der einzige Deutsche auf dem weiten Platz.“

Mit schrägem Blick auf die Berliner „Zitelmann-Erklärung“ – nach der das Kriegsende auch der Beginn der Verfolgung im Osten gewesen sei – bezeichnete Kalbitzer die „Vertauschung von Kriegsursache und Folgen“ als „ideologisches Unterfutter“ für Neo-Nazis.

Der Sozialdemokrat und von den Nazis politisch Verfolgte will sich mitnichten auf den Lorbeern des erreichten demokratischen Pluralismus ausruhen, sondern kritisierte scharf die heute zur „antisozialen Spekulationswirtschaft“ verkommene soziale Marktwirtschaft. An die junge Generation gerichtet sagte er: „Fordert Eure Zukunft!“

Auch Bürgermeister Henning Voscherau rief in seiner Gedenkrede dazu auf, Gefahren für die Demokratie ernst zu nehmen. Jeder Mensch solle „an seinem Platz den ihm möglichen kleinen Schritt“ tun, „statt zu- oder wegzuschauen“.

Seine zuvor geäußerte Aufforderung an das „gemeinsame Gedenken aller“ (taz berichtete) ließ er gestern tunlichst bleiben. Statt sich um das Kriegsende als „Niederlage“ und/oder „Befreiung“ zu sorgen, hob er das unterschiedliche Erleben bei Nazi-Opfern, -Mitläufern und -Tätern hervor.

Weiterer Bericht Seite 24