Watschen kassieren oder Pfründe verteidigen

■ Geldmangel und Dreiviertel-Lehrer: Anna Ammonn, Vorsitzende der GEW und GAL-Sprecher Peter Schaar streiten über rot-grüne Bildungspolitik

taz: Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) grollt, die GAL freut sich über die Koalitionsvereinbarungen zum Thema Schule. Wie kommt's?

Anna Ammonn: Die rot-grünen Beschlüsse im Bildungsbereich sind hochgradig enttäuschend. Es gibt zwar gestalterische Ansätze, die ich begrüße, etwa den muttersprachlichen Unterricht oder die Produktionsschule. Auch die sechsjährige Grundschule ist ein interessantes Projekt, wenn ein gutes Konzept entwickelt wird. Aber zugleich hat die GAL mitverabredet, daß es zu weiteren drastischen Einschnitten im Bildungsbereich kommen wird. Ab 1999 rechnet die GEW sogar mit Stellenstreichungen bei den Lehrern.

Peter Schaar: Klar ist, daß wir angesichts der Haushaltsknappheit vor dem Zwang stehen, sparsam mit den Finanzmitteln umzugehen. Deshalb haben wir uns ja gerade bemüht, wichtige Bereiche wie die Bildung besser zu stellen als andere. Und das ist uns auch gelungen. Mal abgesehen von mehr Schulautonomie: Im nächsten Schuljahr werden Hamburgs Schulen einen unverändert hohen Personalhaushalt haben. Allerdings war es nicht möglich, diese starke Privilegierung für die gesamte Legislaturperiode festzuschreiben.

Ammonn: In diesem Zusammenhang von Privilegien zu sprechen, ist der GAL nicht würdig. Die Schulen waren auch in den vergangenen Jahren an der Sparquote beteiligt, und das bei wachsenden Schülerzahlen. Kein Mensch denkt doch bei Euch mehr daran, die Schule zu entlasten. Es wird weiter zu einer Arbeitsverdichtung kommen, zu größeren Klassen, zu Mehrarbeit. Uns da standespolitische Argumente vorzuwerfen, ist ein Unding. So was könnte eine Gewerkschaft ja nur unter Verlust ihrer Selbstachtung hinnehmen. Das werden wir so nicht mitmachen!

Da entsteht leicht der Eindruck, die GEW verteidigt nur ihre Pfründe und ignoriert die Finanzkrise.

Ammonn: Die Haushaltslage ist uns durchaus bewußt. Enttäuschend ist doch die grüne Bewertung der Verhandlungsergebnisse. Es kann doch kein Erfolg sein, wenn bei 13.500 zusätzlichen Schülern in den nächsten vier Jahren keine einzige Lehrerstelle neu geschaffen wird. Wenn sogar noch Stellen abgebaut werden. Das Signal, das in Hamburg von Rot-Grün ausgeht, ist doch beschämend – zumal es auch ein Signal für eine bundespolitische Wende sein sollte. Ich weiß nicht, wo die grünen Prozentpunkte für einen Wechsel in Bonn herkommen sollen, wenn man diese Beschlüsse auch noch als Erfolg darstellt!

Schaar: Sicher kann man mit den schulpolitischen Ergebnissen nicht völlig zufrieden sein. Aber die Schule ist immer noch besser gestellt als andere Bereiche. Wir stehen nunmal vor der Entscheidung, entweder in anderen Bereichen noch schärfer zu sparen oder mehr Tafelsilber zu verscherbeln. Die Frage ist: Wollen wir eine Politik, die auch noch die letzten 25 Prozent der HEW-Aktien verkauft?

Ammonn: Wenn es da keine anderen Signale auf grüner Ebene gibt, müssen wir uns nach anderen Bündnispartnern umgucken, selbst der Bundespräsident hat ja mehr Visionen hinsichtlich der Bildungspolitik. Sie dagegen, Herr Schaar, forderten die GEW erst unlängst auf, sich an der Realität zu orientieren und nicht ständig altbekannte Positionen wiederzukäuen. Aber die Realität an Hamburgs Schulen ist Ausgrenzung, ist Armut, Gewalt und Perspektivlosigkeit. Und auch der hohe Krankenstand unter älteren Kollegen, das Burn-out-Syndrom sind Realität. Damit wird sich die GEW nie und nimmer abfinden. Unsere Aufgabe ist es, die Realitäten zu verändern.

Die sechsjährige Grundschule bietet dafür ja Ansätze.

Ammonn: Zunächst fand ich die Idee sehr gut. Aber wenn es kostenneutral laufen soll, dann kann das nicht gehen.

Schaar: Für die GEW ist wohl nur gut, was etwas kostet.

Ammonn: Wenn die Grundschule einfach nur um zwei Jahre verlängert wird, kann das nicht funktionieren! Das bedarf differenzierter Konzeptionen.

Schaar: Aber das muß ja nicht unbedingt mehr kosten. Auch die fünften und sechsten Klassen an Gesamtschulen verursachen Kosten. Die fallen dann eben entsprechend an den Grundschulen an. Ich bin ein Absolvent der sechsjährigen Grundschule in Berlin und einer ihrer Verfechter. Denn bei vielen Kindern ist in der vierten Klasse einfach noch nicht klar, welche weitere Schullaufbahn sie einschlagen wollen.

Zurück zum Koalitionsvertrag. Junge Lehrer werden künftig nur noch als 3/4-Pauker eingestellt.

Ammonn: Das ist auch ein Teil dieser Demotivationspolitik. Der ganze Erwartungsdruck von Eltern und Kollegen liegt auf den jungen Lehrern. Und dann stehen sie mit circa 2.200 Mark monatlich da, müssen ihr Bafög abzahlen, wollen eine Familie gründen. Und das nach einer langen qualifizierten Ausbildung.

Schaar: Natürlich darf die Last der Arbeitslosigkeit nicht vollends auf die Neueingestellten abgewälzt werden. Aber es gibt 5.000 arbeitslose Lehrer in Hamburg. Wir müssen die vorhandene Arbeit aufteilen. Idealerweise sollten Lehrer mit vollen Stellen ihre Arbeitszeit reduzieren und auf Einkommen verzichten. Bei einem Oberstudienrat mit 6.500 Mark Nettoverdienst in der Endstufenbesoldung von A 13 müßte das doch gehen. Leider sind dazu aber viele nicht bereit. Trotzdem ist es vertretbar, diejenigen, die nachrücken, zunächst auf 3/4-Basis einzustellen.

Wo sie als Angestellte weniger verdienen als Beamte.

Schaar: Natürlich. Aber deshalb alle zu Beamten zu machen, wäre doch kurzsichtig.

Ammonn: Ich finde es katastrophal, daß den Grünen mittlerweile Sätze über die Lippen kommen wie „die Last der Arbeitslosigkeit nicht vollends auf die Neueingestellten abwälzen“. Da fehlt doch eine grundsätzliche Aussage, daß die Arbeitslosigkeit durch die ungerechte Verteilung in diesem Land hervorgerufen wird. Diese Aussage hört man bei der GAL gar nicht mehr. Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit braucht es mehr als die Frage: Sollen die Alten oder lieber die Jungen die Lasten tragen? An Hamburgs Schulen haben wir im Moment ein Zweiklassenrecht unter den Lehrern. Das ist eine unhaltbare Situation.

Schaar: Ist die GEW denn für die Verbeamtung? Das möchte ich wirklich mal wissen.

Ammonn: Solange der Staat dieses Konstrukt vorsieht, kann es keine zwei Klassen in den Lehrerkollegien geben.

Schaar: Da haben wir Dissens. Wir sind der Auffassung, daß Lehrer auch in Zukunft als Angestellte beschäftigt werden sollen.

Ammonn: Eine Möglichkeit, Stellen zu schaffen, wäre das Alters-Teilzeitmodell, das wir entwickelt haben. Aber das wird im Koalitionsvertrag mit keiner Silbe erwähnt.

Schaar: Ein Modell, das natürlich wieder mehr kosten soll.

Ammonn: Natürlich, es gibt kein Altersteilzeitmodell, das nichts kostet. So etwas rechnet sich nur, wenn man den gesamten Kontext betrachtet: Der Arbeitsmarkt wird entlastet, die Krankenquote bei Älteren wird geringer...

Schaar: Es ist derzeit einfach nicht vertretbar, über Altersteilzeit nachzudenken ohne einen finanziellen Ausgleich.

Realpolitik pur. Die GAL hat also mit Einblick in die städtischen Kontoauszüge eine ganz neue Sichtweise dafür entwickelt, was möglich und was nötig ist.

Schaar: So ist es. Je realistischer die Möglichkeit war, die Verantwortung für diese Stadt mitzutragen, desto stärker traten die Finanzen ins Blickfeld.

Ammonn: Und deshalb gibt es mit den Grünen keinerlei neue Beschäftigungsmöglichkeiten im Bildungsbereich.

Schaar Doch.

Ammonn: Nur durch Umverteilung und 3/4-Stellen. Und das, obwohl die Aufgaben wachsen, obwohl die Schülerzahlen wachsen. Ich kann mich nicht damit trösten, daß es jetzt pro Jahr eine Ganztagsschule mehr gibt und ein Schulversuch zur sechsjährigen Grundschule womöglich in acht Jahren zu ersten Ergebnissen führt. Das löst nicht die Probleme. Von dieser rot-grünen Regierung in Hamburg gehen keine Signale aus.

Schaar: Wir haben doch diese Probleme nicht nur bei der Bildung. Wir haben sie im Gesundheits-, im Sozialwesen, überall.Vielleicht kann eine Gewerkschaft das einfach ignorieren, wir können das nicht. Im Prinzip geht es jetzt darum, einen Mangel zu verwalten. Das ist so. Trotzdem gibt es auch bei der schlechten Haushaltslage Gestaltungsspielräume. Und die gilt es zu nutzen. Moderation:

Karin Flothmann, Judith Weber