Im Schengenland

Protestadresse: Ein Projekt von Oliver Ressler und Martin Krenn zu „Institutionellen Rassismen“ in Wien  ■ Von Jochen Becker

Politische Äußerungen von KünstlerInnen – das hat der Streit um die Grass-Rede gezeigt – schaffen stets auch kulturellen Mehrwert. Die Literatenstandpauke wirbelte mehr Dreck auf als die fast zeitgleich anberaumte Auftaktpressekonferenz zur Kampagne „kein mensch ist illegal“, die allerdings die geballte Praxis antirassistischer Initiativen und FluchthelferInnen hinter sich weiß. Auch an dem umfassend angelegten Wiener Kunstprojekt „Institutionelle Rassismen“ fallen einige Widersprüchlichkeiten politisierter Kunstpraxis im Zirkelschluß von Institution und Kritik auf. In seiner breiten Streuung (Ausstellung, Video, Symposium, Filmreihe, Kunst im Außenraum) bietet das Projekt zahlreiche Anschlußmöglichkeiten. Die beiden Künstler Oliver Ressler und Martin Krenn verfolgen in ihrer Arbeit „politökonomische und rechtliche Strukturen von europäischen Nationalstaaten und supranationalen Staatengebilden im globalen Kontext“, wobei der Schwerpunkt auf einer „kritischen Auseinandersetzung mit gesetzlich verankerten Ausgrenzungspraktiken“ liegt.

Der Ausstellungsteil findet in der Kunsthalle Exnergasse statt. Sie ist Teil des soziokulturellen Zentrums WUK mit seinen Ateliers, Initiativen und Konzerten und bietet so auch kunstfernem Publikum eine Anlaufstelle. Der weitläufige Raum wirkt bis auf die Stühle, Fernseher und drei weißgestrichene Kuben leer. Dort liegen jeweils 18 Papierstapel mit kopierten Ausschnitten aus Websites, Magazin- oder Buchartikeln. Nun kann man im Stehen die mit Kommentaren überschriebenen Texte lesen oder sie wie von einem Schreibblock herunterreißen, aufgerollt mit ausliegenden Gummibändern sichern und für später mitnehmen. Die jeweiligen Originalpublikationen liegen allerdings nicht aus. Nun sind viele der Zeitschriften wie Tatblatt, radikal, ZAG, off limits oder iz3w auf den Verkauf angewiesen; zudem werden die damit verknüpften politischen Projekte finanziell unterstützt. Könnten die institutionellen Mittel der Ausstellung nicht doch wieder stärker zurückfließen in die alltägliche Praxis?

Antirassistische Projekte sind im Kunstbetrieb keine Selbstverständlichkeit und werden gern als „Inhaltismus“ abgetan. Die Formfrage scheint gerade innerhalb der österreichischen Kunstwelt keine Nebensache zu sein. So mag die ästhetische Strenge in der Präsentation auch strategisch begründet sein. Dabei droht das in die Traditionslinie von Minimal art sich einreihende Konzept in Distanz umzuschlagen. Die Hoffnung, das vom Kontext freigelegte Material spräche für sich, stößt im Falle der gezeigten und äußerst moderat geführten Videointerviews mit führenden Abschiebebeamten aus Österreich und Deutschland an ihre Grenzen. Zwar verdeutlichen die zur Hälfte mit bundesdeutschen Positionen besetzten Gespräche, wer im Festungsbau von Schengenland die Fäden zieht. Die implizite Hoffnung auf Selbstentlarvung bricht allerdings unter der Last staatsrassistischer Verlautbarungen – schon gar ohne harte Gegenrede der im Bild fehlenden Interviewer – in sich zusammen.

Während die Beamten wiederholt um Verständnis für einen von ihnen vertretenen institutionellen Rassismus werben können, fehlen Positionen von Migranten, die ohnehin nur selten zu Wort kommen. Die deutschsprachigen Videos wurden in Englisch untertitelt, was eine nur zu seltene Geste gegenüber Menschen außerhalb des deutschen Sprachraums darstellt. Andererseits sind das koloniale Französisch oder Spanisch sowie die slawischen Sprachen unter großen Teilen der Zuwanderer weiter verbreitet.

Mit Referentinnen wie bell hooks, Isaac Julien, Beat Leuthardt oder Nora Räthzel bildet das prominent besetzte Symposium „Gegen-Rassismen“ an diesem Wochenende den theoretischen Abschluß der Ausstellung. Zugleich waren öffentliche Einrichtungen von WUK über die Universität, die IG Kunst und das Stadtkino bis zu Workshops im Kunst- Info-„Depot“ an dem Projekt beteiligt. Die von der feministischen Sozialanthropologin Brigitte Kossek in Zusammenarbeit mit Herbert Langthaler von der „asylkoordination österreich“ konzipierte Tagung wird durch Gelder des „Europäischen Jahres gegen Rassismus“, des österreichischen Innenministeriums sowie des Unterrichtsministeriums, Abteilung politische Bildung, finanziert, die – ein kaum überbrückbarer Widerspruch – in der Ausstellung gerade für institutionelle Rassismen verantwortlich gemacht werden. So weigern sich viele antirassistische Initiativen strikt, institutionelle Fördergelder des „EU-Jahres gegen Rassismus“ anzunehmen. Die vielfachen Verantwortlichkeiten und Förderungen des Projekts verhinderten in einer Art strategischer Kompetenzverwirrung zudem, daß eine vor der Wiener Oper errichtete Arbeit gegen Abschiebung vorzeitig abgeräumt wurde. Der großformatige, mit mehrsprachigen Postern beklebte Würfel verweist mit der abgebildeten Knastfassade auf die räumliche Nähe zum Abschiebegefängnis Rossauer Ländle, das am anderen Ende des Innenstadtrings liegt. Dort nimmt staatlicher Rassismus mit seinen jährlich 14.000 Inhaftierungen konkrete Gestalt an; zudem weist das Objekt auf einen Ort für Protestaktionen hin.

Die an der belebten Fußgängerzone gelegene Arbeit wurde nicht nur von Teilen der Kulturverwaltung, sondern auch in den örtlichen Zeitungen attackiert, dabei jedoch zumeist nochmals abgebildet. Die Plakatanschläge auf dem Herbert- von-Karajan-Platz führen somit auch heraus aus dem weiter oben beschriebenen Zirkelschluß zwischen Institution und Kritik. Nicht nur im Feuilleton, sondern auch auf den Lokalseiten wirbt so das Abbild vom Info-Kubus für eine öffentliche Diskussion und für Veranstaltungen, die sich der institutionellen Abschiebungspolitik zu erwehren suchen.

Das Symposium „Gegen-Rassismen“ findet heute und morgen in der Kunsthalle Exnergasse/WUK, Wien statt. Die Workshops im Depot schließen sich am 16. und 17. an. Der Kubus vor der Oper bleibt bis zum 27.11. stehen.