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Das Verschwinden des Barbiers

Die Istanbul-Biennale tut sich immer noch schwer mit der Balance zwischen Orient und Okzident. Den Beiträgen von 86 Künstlern merkte man davon nur wenig an  ■ Von Fritz von Klinggräff

Was früher Konstantinopel hieß, ist heute eine Geisterstadt. Rund um den alten Topkapi-Palast – mit seiner byzantinischen Hagia Eirene, der osmanischen Münzfabrik, mit Justinians raunender Unterwelt in der Yerebatan-Zisterne – wird seit zehn Jahren die Istanbul-Biennale der Kunst veranstaltet. Während die vergangenen Ausstellungen sich mit ihren Künstlern zumindest teilweise in neutralere Kulturzentren und Lagerhäuser retten konnten, sollte in diesem Herbst endlich die ganze Stadt der Kunst als Bühne und Spiegel dienen. Besonderen Wert hatte Rosa Martinez, die spanische Kuratorin, deshalb auf die Besetzung der Stadtausgänge gelegt, auf die beiden alten osmanischen Bahnhöfe. Immerhin stand auf ihrem Programm die Restauration des Bildes von Istanbul als „Pforte zum Orient“.

„On life, beauty, translation and other difficulties“ war als Motto der 5. Istanbul-Biennale ausgegeben worden. Mit einer Polaroid bewaffnet schickte Martinez ihre Gäste durch die Stadt – auf der Suche nach Ready-mades, die mit ihrer Arbeit in Ähnlichkeitsbeziehungen treten sollten. „Special emphasis will be laid on the connection between the art and the city“, so die Vorgabe der Kuratorin an ihre 86 assistierenden KünstlerInnen.

Im Seitenschiff des Sirkeci- Bahnhofs, zwischen Wartehalle und gastronomischem Orientexpreß-Nepp, kämpfte Eve Sussman mit verzweifelter Energie darum, diesen Vorgaben gerecht zu werden. In Echtzeit holte sie die Stadt – ihre Verkehrsströme, ihre Arbeit, ihre Literatur – in einen videographischen Gaze-Tempel. Während der Rücken des kleinen Barbiers in der hinteren Ecke des Raumes sich groß über die Leinwand bewegte, verschwand er selber im Dustern und blickte (bei einer Tageseinnahme von 2 Millionen Lira = 20 Mark) in die Röhre.

Auf der anderen Seite des Bosporus liegt Haydarpasa, Istanbuls asiatischer Bahnhof, in Kadiköy. Ein selbstbewußtes Städtchen im Inneren der Metropole, mit ausgedehnter Fußgängerzone und einem großartigen Spielplatz. Die Nato hängt dort ihre Wimpel in den Sturmwind, träge ziehen rostige russische Tanker vorbei. Die schippern, so wird wortreich vermutet, die bestellten Raketen rüber ins griechische Zypern. Im rüstigen Haydarpasa-Bahnhof träumen bepinselte Prellböcke von einstmals geschäftigen Zeiten, ansonsten bekommt man Linsensuppe zum ortsüblichen Tarif. Über den Ausgängen zum Hafen leuchtete während der Biennale ein wenig traurig der Wunsch: „Kiss me, Kiss me, Cover my body in love / Öp Beni, Öp Beni, Asklar Sar“. Letzte Worte von Tracey Emin. An die Wand des alternden Bahnhofs hatte die Engländerin ihre kleine hellrosa Geschichte von Liebe und Abschied geschrieben.

In Sirkeci und Haydarpasa führen die Schienenwege nirgendwohin. Nicht einmal mehr 20 Abfahrten täglich verzeichnen die beiden Bahnhöfe im Westen und Osten der Stadt. Nach Istanbul fliegt man heute – oder kommt per Autobus aus Anatolien. Rosa Martinez' alter Traum von der großen „gate between Europe and Asia“ ist längst von der Wirklichkeit eingeholt. Auf der Bosporus-Brücke steht halb Istanbul täglich im Stau, weil der Marshallplan das Land vor 50 Jahren in den Straßenbau drängte, und kaum etwas regt die Bevölkerung derzeit mehr auf als der Plan einer dritten Brücke „between Europe and Asia“.

„Wie konntet Ihr Euch eine Europäerin als Kuratorin herholen?“ ist denn auch einer der Vorwürfe von Beral Madra, Grande Dame auf der Istanbuler Kunstbühne. Mit ihren bissigen Polemiken mosert die Galeristin in allen Medien des Landes gegen importierte Kunstkonzepte. Einmal mehr habe die Schwellenmetapher auf dieser Biennale dazu gedient, die Tore einseitig gen Osten zu öffnen. Die wiederholte Einladung von westeuropäischen Kuratoren bewirkte, daß auch nach zehn Jahren die Istanbul-Biennale noch keinen Zugang zur Kunst aufweise. Die Arroganz der Spanierin zeige sich nicht zuletzt in der Einladung von gerade mal neun türkischen Künstlern zur Ausstellung.

Doch der antiimperialistische Tonfall, den die Kuratorin der ersten Istanbul-Biennale anschlägt, klingt ein wenig nach später Revanche. Vor zehn Jahren hat sie sich die gleichen Vorwürfe anhören müssen. Heute preist sie die Biennalen von Havanna und Johannesburg für ihre konsequenten Konzepte jenseits des „traditionellen Kunstsystems“ und träumt davon, einmal noch Chefin einer Ausstellung zu sein, die sie gemeinsam mit den Kuratoren aus Nordafrika, dem Mittleren Osten und Zentralasien vorbereitet.

Erstaunlich einig war man sich bei aller harschen Kritik an Konzepten und Präsentation über die Auswahlkriterien der Kuratorin. Rosa Martinez hatte Mut. Mut, eine Reihe sehr junger Künstler einzuladen. Zu einer Ausstellung zudem, die in ihrer Zusammensetzung so fürchterlich okzidental nun auch wieder nicht war. Ja, heißt es an Kunststammtischen nach ein paar Raki, in gewisser Weise habe Frau Martinez sogar ihren Anspruch auf Schönheit verwirklichen können. Allen großen Worten zum Trotz war die Kuratorin bei der Wahl der Werke darauf bedacht, die historische Staffage nicht auch noch mit Monumenten vollzustellen. Die Biennale 97 erzählte vom Standort der Kunst im Flüchtigen: In der Hagia Eirene ließ Cai Guo-Quiang Papierflieger ins Mittelschiff heruntersegeln, die spielten „Wünsch dir was“ mit den Fahrgästen in Carsten Höllers traurigem Flugapparat.

Die Frauen dominierten, nicht nur zahlenmäßig. Soo-Ja Kim mit den hingehauchten Fetzen ihres Hochzeitskleides in den Mauerritzen der Hagia Eirene wurde neid- und schwerelos zum Publikumsliebling. So poetisch wie nie: Pippilotti Rist. Shirin Neshats „Woman of God“ – die zu den meistbeachtetsten Arbeiten der vorigen Biennale gehörte – hatte ihr Gewehr zur Seite gelegt, ihren mit Kalligraphien besetzten Körper verhüllt und machte sich (im Video „The shadow under the web“) unter ihrem schwarzen Schador auf den Weg durch die Stadt. Eine Flucht – wer wüßte noch zu sagen, wohin.

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