Auf der Spur der Geheimdienste

Heute beginnt in Berlin der Prozeß gegen die mutmaßlichen Urheber des Anschlags auf die Diskothek „La Belle“. Dubiose Rolle der Geheimdienste in Ost und West  ■ Von Wolfgang Gast

Wenn heute vor dem Berliner Landgericht der Prozeß wegen des Sprengstoffanschlags auf die Berliner Diskothek „La Belle“ eröffnet wird, scheinen der Tathergang geklärt und die Schuldigen festzustehen. Ein wichtiger Zeuge wird im Verlauf des Verfahrens vor der 39. Großen Strafkammer wohl aussagen, wer wann und mit wem den drei Kilogramm schweren Sprengsatz zusammengesetzt und wer ihn in der Nacht auf den 5.April 1986 am Rande der Tanzfläche deponiert hat. Er wird wahrscheinlich auch angeben, wer als Anstifter hinter dem Attentat gestanden hat, bei dem die beiden in Berlin stationierten US-Soldaten Terrance Ford (21) und James Goins (25) wie auch die 28jährige Nermin Haney getötet und mehr als 200 Menschen zum Teil schwer verletzt wurden: Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi. Nach dem im April zu Ende gegangenen Prozeß um die Ermordung von vier irakischen Oppositionspolitikern in der Berliner Gaststätte Mykonos wird der „La Belle“-Prozeß somit das zweite Verfahren, in dem eine Strafkammer den staatsterroristischen Hintergrund eines Attentats in der Bundesrepublik ausleuchten muß.

Unmittelbar nach dem Attentat machte die US-Regierung Libyen für die Explosion verantwortlich. Zehn Tage später ließ der damalige US-Präsident Ronald Reagan die Hauptstadt Tripolis und die Hafenstadt Bengasi als Vergeltungsschlag bombardieren. Daß Libyen hinter dem Anschlag auf die Westberliner Diskothek gestanden hat, war lange umstritten. Der einzige Hinweis, den Reagans Administration präsentiert, waren vom US-Geheimdienst NSA aufgefangene Funksprüche, in denen dem libyschen Volksbüro in Ost- Berlin zur erfolgreichen Durchführung des Attentats gratuliert worden sein soll. Die Beweise für die libysche Urheberschaft, behauptete Reagan in einer Fernsehansprache, seien „präzise“ und „unwiderlegbar“. Überzeugende Belege dafür blieb er aber schuldig.

Erst die Öffnung der Stasi-Archive brachte neue Erkenntnisse. Den Aufzeichnungen des ostdeutschen Geheimdienstes zufolge ist das Attentat von Mitarbeitern des libyschen Volksbüros geplant und koordiniert worden, es wurde unter den Augen der Staatssicherheit durchgeführt. Bis unmittelbar vor der Tat war die Parteispitze der DDR durch ihren Geheimdienst über die geplanten Aktionen des libyschen Volksbüros in Kenntnis gesetzt – verhindert haben sie sie nicht.

Die Berliner Ankläger halten Yasser Chraidi, 1959 im palästinensischen Flüchtlingslager in Ain El Helweh in der Nähe von Beirut geboren, für einen von zwei Haupttätern. Auf Ersuchen der palästinensischen Gruppierung PFLP-GC um den früheren syrischen Offizier Ahmed Jibril soll Chraidi einen libyschen Paß und eine Anstellung beim Ostberliner Volksbüro erhalten haben. Dritten gegenüber habe sich Chraidi als angestellter Journalist der libyschen Vertretung ausgegeben. Der Staatsanwaltschaft zufolge soll er aber tatsächlich „der Geheimdienstresidentur zwecks Vorbereitung und Durchführung von Terroraktionen zugeordnet“ gewesen sein.

Der Sprengsatz soll von Verena Chanaa (38), die im Oktober vergangenen Jahres festgenommen wurde, in der Diskothek gegen 1.30 Uhr abgelegt worden sein. Ihr früherer Ehemann Ali Chanaa (38) gilt als zweiter Haupttäter, auch er wird des Mordes beschuldigt. Als Helfer angeklagt sind neben Verena Chanaa die Deutsche Andrea Häußler (32) und der ehemalige libysche Geheimdienstmann Musbah Eter (41). Erst das Geständnis Eters, sagt die Staatsanwaltschaft, hat die vollständige Aufklärung des Attentats ermöglicht.

Bereits im Juli 1990 fanden sich in einem Stasi-Dossier Hinweise, wonach der amerikanische Geheimdienst CIA von einem Doppelagenten über die Anschlagsvorbereitungen informiert gewesen sein könnte. Durch den inoffiziellen Mitarbeiter „Alba“ – den jetzt angeklagten Ali Chanaa. „Alba“ gilt als V-Mann des CIA. Damit ließe sich erklären, daß die von Reagan behauptete Libyen-Connection beim „La Belle“-Attentat keineswegs so aus der Luft gegriffen war. Die Staatssicherheit der DDR hatte schon vor dem Anschlag den Verdacht, „Alba“ könne auch auf einer anderen als der eigenen Gehaltsliste stehen. Selbst die Staatsanwaltschaft in Berlin geht heute davon aus, daß die Anschlagsvorbereitungen nicht nur dem MfS bekannt waren. Den Geheimdiensten der USA sollen, so heißt es in der Anklageschrift, bereits am 25. März „zuverlässige Informationen“ über eine Anweisung der libyschen Regierung an das Ostberliner Volksbüro vorgelegen haben, terroristische Anschläge gegen US-Bürger zu begehen. Zwei Tage später, am 27.3., sei deshalb der DDR-Botschafter Muench in Washington in das Außenministerium einbestellt worden. Am selben Tag erschien auch der US-Botschafter in der DDR, Meehan, im DDR-Außenministerium. Auch er behauptete, „Hinweise auf feindselige Aktivitäten gegen die USA durch das libysche Volksbüro“ in Ost-Berlin zu haben. Die Mitarbeiter im DDR-Außenministerium, so die Staatsanwaltschaft, hätten aber wahrheitswidrig erklärt, von derartigen Plänen keine Kenntnisse zu haben.

Im Gegensatz zum Mykonos- Prozeß weist in diesem Verfahren eine der Spuren in Richtung Westen. Wenn, wie die Staatsanwaltschaft behauptet, den US-Diensten Informationen über die Anschlagsvorbereitungen vorlagen, dann muß sie auch der Frage nachgehen, ob diese nicht das Attentat geschehen ließen – als Vorwand für die Bombardierung von Tripolis.