Tafel für Minsk-Deportierte

■ Gedenktafel an der ehemaligen Schule Am Barkhof/ Dort begannen am 18. November 1941 die Deportationen – ein Augenzeuge erinnert sich

Jetzt ist es 56 Jahre her. Am 18. November 1941 mußten sich deutsche Juden aus Verden und dem Regierungskreis Stade an der Bremer Schule Am Barkhof - damals „Carl-Peters-Oberschule“- sammeln und wurden in das Ghetto Minsk deportiert. Heute ist die alte Schule Am Barkhof ein Teil der Universität. „Damit übernehmen wir die Tradition“, sagt der Dozent der Akademie für Arbeit und Politik, Manfred Schürz. Deshalb wurde gestern in einer Feierstunde eine Gedenktafel am Gebäude der Universität angebracht.

Etwa 144 Juden, schätzt Schürz, mußten sich Am Barkhof zusammenfinden. Nur drei von ihnen haben das Ghetto in Minsk überlebt, fand Schürz nach Recherchen im Archiv heraus. Aber es gab am Tag der Deportation Augenzeugen. „Ich sah einen großen Zug von Männern, die sich auf unserem Schulhof sammelten“, erzählt der 73jährige Ernst Kramer. Kramer war 1941 Schüler der Obersekunda an der Schule Am Barkhof. Obwohl den Schülern am 18. November 1941 der Blick auf den Schulhof verboten wurde, verfolgten die Jugendlichen das Geschehen. „Die Lehrer haben überhaupt nicht reagiert“, sagt Kramer zur taz.

Der Pensionär erinnert sich an Männer - dunkel angezogen, mit Hut auf dem Kopf - die aus einer Gulaschkanone verpflegt wurden. „Es waren würdig gekleidete Herren“, sagt Kramer. Er kann sich aber weder an Kinder, noch an Frauen erinnern, obwohl er sich sicher ist, das sie auch auf dem Schulhof waren. Die Gruppe Männer verließ noch am selben Tage in einer Kolonne den Schulhof. „Unter vorantritt eines Rabiners, der Psalme sang.“Die Feierlichkeit des Zuges ist Kramer im Gedächtnis geblieben.

„Das ganze hat uns nicht sonderlich aufgeregt. Damals war schon Bombenkrieg“, sagt Kramer. Mit Gedanken waren die Schüler woanders. Trotzdem, sagt er im Rückblick, es blieb schon damals ein ungutes Gefühl. „Wir haben untereinander nicht mehr darüber geredet. Das zeigt, wir ahnten, was los war.“Heute will sich außer ihm keiner seiner Schulkameraden an den 18. November erinnern.

Daß der Pensionär darin eine Ausnahme ist, liegt wohl an seiner Erziehung. Die Eltern lebten betont christlich und waren Mitglieder der Bekennenden Kirche. „Damit wurde ich bewußter“, sagt Kramer. Obwohl er selber gerne am Jungvolk und der HJ teilnahm, hatte er als Kind durch Predigten für den im KZ-Buchenwald inhaftierten Pfarrer Paul Schneider von Konzentrationslagern gehört.

Daß die Schule Am Barkhof Ausgangsort für die Deportationen am 18. November 1941 war, wurde lange Zeit verdrängt. Erst 1995 fanden Mitarbeiter der Universität ein Graffiti auf dem Gehweg vor den Gebäuden aufgemalt mit den Worten: „Vergeßt nicht. 18. November 1941.“Daneben lag ein Blumenbukett. „Er sah aus, als hätte ihn jemand verloren“, erzählt Dozent Schürz. Danach bemühte sich Schürz in Archiven, die Geschichte des Ortes und der 144 deportierten Juden herauszubekommen. Jetzt ist die Gedenktafel von den 150 Mitarbeitern der zwei Universitätgebäude und der Univesität gespendet worden. Unbekannt sind aber bislang noch die Namen der Deportierten, die die SS und Polizei am selben Tag wie die 440 Bremer Juden ins Ghetto Minsk abtransportierte. Mit der Namenssuche will Schürz jetzt beginnen. „Das ist der nächste Akt“, sagte er. susa