■ Vorschlag
: Unter Durchblickern – Wolfgang Thierse diskutiert mit Trendforschern

Einen Mangel an kultureller Aufgeschlossenheit kann man der Sozialdemokratie, insbesondere ihrem stellvertretenden Vorsitzenden Wolfgang Thierse, nun wirklich nicht nachsagen. Im Sommer sollte er sich mit Volksbühnenchef Frank Castorf über Kultur in Zeiten der Knappheit streiten, aber schon nach wenigen Sätzen hatten sie sich gemeinsam eingebrummt auf die Verhältnisse, die nicht so sind und immer schlimmer werden. Nun steigt er wieder in den Ring, diesmal mit den Trendforschern Christoph Clermont und Johann Goebel. Es gilt, die Tugend der Orientierungslosigkeit auszuloten. Alles nicht so schlimm, wenn man nicht durchblickt, sagen die beiden jungen Menschen, 27 und 19 Jahre alt. Erst kürzlich wurden die beiden von Ulrich Beck („Die Risikogesellschaft“), dessen Wort in sozialpolitischen Fragen in diesem Land nun einmal zählt, in der Süddeutschen Zeitung so kräftig ans Herz gedrückt, daß die Promotion auf Foren wie das heutige kaum mehr aufzuhalten war.

Thierse, eher ein altkonservativer Linker, wird das Flottdenken seiner jungen Diskutanten aber nicht sehr gefallen. Eben noch als Handlanger rechtskonservativer Nationalphantasien beschrieben, konstruieren Clermont und Goebel das Bild des 89er Generationsvertreters aus ihrem Ebenbild. Er ist ein Lebensästhet, der ein paar Tricks drauf hat, bisweilen recht klug daherschwätzen kann und nicht darunter leidet, daß die Berufslaufbahn nicht gewiß und die Rente unsicher sind. Ihren ganzen Optimismus schöpfen sie allein aus sich. „Allein das Vertrauen in den Wert der eigenen Person“, heißt es im Buch, „läßt die ökologische Bedrohung ein paar Schritte zurücktreten. Auf das eigene lebensästhetische Konstrukt ist Verlaß – auch wenn die Welt untergeht.“

Daß es dazu heute abend nicht kommen wird, dafür wird schon der Mann mit dem Marx-Bart sorgen. Allzu forsches Über-Bord- Werfen von Werten gilt nicht. Harry Nutt

20 Uhr, Willy Brandt-Haus, Wilhelmstraße 140, Kreuzberg

Sagen, wo es langgeht Foto: Marily Stroux