Das Portrait
: Havels Kaffeehaus wieder geöffnet

■ Slavia

Am Slavia kommt keiner vorbei. Nicht die aufmüpfige, Rock-'n'-Roll-verliebte Jugend aus der gegenüberliegenden Arbeiter-Bier-Vorstadt Smíchov. Nicht der Moldauspaziergänger, der über Karlsbrücke und Smetanakai unweigerlich im Kaffeehaus am Fluß landet. Nicht Václav Havel, der nur wenige Häuserblocks südlich wohnte, wenige Häuserblocks nördlich im Theater am Geländer arbeitete und im Slavia mit seiner ersten Frau Olga eine schnelle Packung Zigaretten rauchte. Bier gab es hier zwar nicht – da waren die realsozialistischen Bestimmungen für Kaffeehäuser vor. Statt dessen schwamm die Zitronenscheibe im lauwarmen Wasser und verhinderte, daß der Teebeutel sein volles Aroma entfaltete. Alle Gäste kamen, um von innen das zu sehen, was von außen zwar genausogut, aber ohne den edlen, über 110 Jahre alten Rahmen zu bewundern war: das leuchtende Panorama der Prager Burg.

Der Andrang führte in den späten 80ern dazu, daß das Kaffeehaus einen Türsteher erhielt, der nur dann einen Gast einließ, wenn auch einer herauskam. Als selbst dies nicht reichte, die ungeliebten, weil politisch engagierten Studententen der im selben Gebäude untergebrachten Filmhochschule draußen zu halten, wurde eine Eintrittsgebühr eingeführt: doppelt so teuer wie eine Tasse Kaffee. So übernahmen die Touristen das Slavia.

Die Rückkehr der Studenten kam mit der samtenen Revolution 1989. Sie filmten die ihre Kommilitonen zusammenprügelnden Polizisten, vervielfältigten das Material und verteilten es im ganzen Land. Neben der Laterna Magica, nur wenige hundert Meter weiter, wurde das Slavia zur Zentrale des Umbruchs.

Das Zwischenhoch war von kurzer Dauer. Gerade hatte der italienische Espresso den türkischen Kaffee abgelöst, da wurde das Slavia 1992 wegen unklarer Besitzverhältnisse geschlossen. Selbst eine vorübergehende und von Havel unterstützte Besetzung durch die Studenten blieb erfolglos. Fünf Jahre war das Slavia zu. Nach der Zwangspause hatte sich das Land verändert. Die Dissidenten, die hier so manche Resolution diskutierten, sitzen nun auf dem Hradschin. Die Stasi-Spitzel, die am Nebentisch die Gespräche aufzeichneten, wurden zu Taxifahrern. Und die Studenten drehen nun Werbefilme. Aber die Touristen sind immer noch da. Sabine Herre