Auf zum Kampf gegen den Henkerstaat

In Irland kocht die Abtreibungsdebatte wieder hoch. Es geht um den Fall einer 13jährigen, die nach einer Vergewaltigung schwanger geworden ist. Gerichte müssen jetzt über ihre Ausreise nach England entscheiden  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Nun ist es also erneut geschehen: Ein 13jähriges irisches Mädchen ist nach einer Vergewaltigung schwanger geworden, und die Abtreibungsgegner haben zum Kampf geblasen. Die „Gesellschaft zum Schutz ungeborener Kinder (SPUC)“ hat erklärt, der Staat würde sich zum „Henker“ machen, falls er dem Mädchen eine Abtreibung gestatte. Ob sie nach England ausreisen darf, müssen jetzt die Gerichte entscheiden.

Ein ähnlicher Fall hatte vor fünf Jahren für hitzige Debatten, Demonstrationen und Gegendemonstrationen gesorgt. Einer 14jährigen, die vergewaltigt und geschwängert worden war, wurde per Gerichtsbeschluß die Ausreise verwehrt. Das Höchste Gericht hob das Urteil schließlich auf: Bei Lebensgefahr für eine Schwangere, und dazu zählten die Richter auch Selbstmordgefahr, sei eine Abtreibung statthaft.

Die damalige Regierung wollte die Rechtslage durch ein Referendum klären lassen, doch das Volk spielte nicht mit. Zwar wurde das Recht auf Informationen über Abtreibung im Ausland sowie auf Reisefreiheit mit deutlicher Mehrheit bestätigt, doch der schwammig formulierte Paragraph zur Abtreibung fiel durch. Die Frauenorganisationen monierten, daß eine Gesundheitsgefährdung der Schwangeren kein Abtreibungsgrund sein sollte, die selbsternannten Lebensschützer wollten nicht mal akute Lebensgefahr gelten lassen.

Es wäre danach an den Politikern gewesen, die Ungewißheit durch Gesetze auszuräumen. Die Regierungen haben seitdem mehrmals gewechselt, doch keine Partei traute sich, das heiße Eisen anzufassen, denn Wahlstimmen sind damit nicht zu gewinnen. Man hoffte auf die irische Lösung, die jahrzehntelang funktioniert hatte: Bis zu 10.000 irische Frauen fahren jedes Jahr mehr oder weniger heimlich in englische Abtreibungskliniken.

Bei der 13jährigen, die fast zwölf Wochen schwanger ist, nachdem sie von einem 24jährigen Bekannten vergewaltigt worden ist, liegt die Sache jedoch anders. Sie ist von den Behörden in Pflege genommen worden, weil die Lebensbedingungen bei ihren Eltern akut gesundheitsgefährdend waren. Die 13jährige lebte mit ihren Eltern und elf Geschwistern am Straßenrand in zwei Wohnwagen, bei denen die Fenster durch Plastikfolie ersetzt sind. Die Familie gehört zu den Fahrenden, jener diskriminierten Minderheit, die dem Verband der Roma und Sinti angehört, aber aus nichtseßhaften Iren besteht.

Die Abtreibungsgegner argumentieren, daß das Gesundheitsamt nicht bevollmächtigt sei, zwischen dem Recht auf Reisefreiheit der Schwangeren und dem Recht auf Leben des Ungeborenen zu entscheiden. Der frühere Generalstaatsanwalt Harry Whelehan, der 1992 das Ausreiseverbot für die 14jährige beantragt hatte und seitdem Sprecher der Abtreibungsgegner ist, sagte, in einer Demokratie müssen die Gerichte eine solche Frage entscheiden, zumal der Staat in diesem Fall die Ausreise und Abtreibung auch bezahlen müßte.

Die SPUC-Präsidentin Mary Lucey sagte, keine Behörde dürfe „das Todesurteil über ein unschuldiges Kind verhängen, indem es jemandem in ihrer Pflege eine Abtreibung“ erlaube. Das Sorgerecht für das Mädchen liegt aber nach wie vor bei den Eltern. „Und die in der Verfassung garantierte Reisefreiheit ist nicht von irgendwelchen Bedingungen abhängig“, sagte die Justizprofessorin Ivana Bacik.

Der Fall hat die Politiker aufgeschreckt. Noch in dieser Woche soll eine Parlamentsdebatte stattfinden, in Frühjahr will die Regierung dann eine Gesetzesvorlage einbringen. Die Debatte darüber kann sich ein Jahr hinziehen. Bis dahin gilt der höchste Richterspruch aus dem Jahre 1992, der freilich nie angewendet worden ist: Demnach wäre Abtreibung in Irland ohne Fristbegrenzung gestattet, wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist. Das wäre die weitgehendste Abtreibungsregelung der Welt.