Vielen Jüdinnen und Juden verhalf sie zur Flucht

Maria Gräfin von Maltzan wird heute beerdigt. In ihrer Wilmersdorfer Wohnung gewährte die Tierärztin Verfolgten Unterschlupf. „Schießen Sie doch in die Couch“, sagte sie und lenkte die Gestapo so vom Versteck ihres Freundes ab. Punks schätzten ihre ungewöhnliche Lebensweise  ■ Von Jürgen Karwelat

Am vergangenen Mittwoch, dem 12. November 1997, ist die weit über Berlin hinaus bekannte Tierärztin Maria Gräfin von Maltzan im Alter von 88 Jahren gestorben. Die Beerdigung der Widerstandskämpferin, die in der Nazizeit mit ihrer Kaltschnäuzigkeit vielen Berliner Jüdinnen und Juden zur Flucht verholfen hat, findet heute um 12 Uhr auf dem Städtischen Friedhof an der Heerstraße, Trakehner Allee 1 statt.

Gräfin Maltzan, Autorin des Buches „Schlage die Trommel und fürchte dich nicht“ wuchs in Militsch in Niederschlesien, heute Polen, auf, war Lieblingskind des Vaters und das Enfant terrible im Militscher Schloß. Allen Widerständen zum Trotz besuchte sie das Gymnasium, studierte in München Naturwissenschaften und wurde schließlich Tierärztin.

Schon 1933 schloß sie sich einer Widerstandsgruppe gegen Nazis an und unternahm, um den Verhören wegen ihrer Verbindungen zu jüdischen und kommunistischen Kreisen zu entkommen, von 1934 bis 1936 eine Afrika-Reise.

1936 kam sie nach Berlin. Hier hat sie nach dem 9. November 1938 vielen jüdischen Berlinerinnen und Berlinern Unterschlupf gewährt und ihnen schließlich auch mit Hilfe der Widerstandsgruppe in der Schwedischen Gemeinde zur Flucht verholfen. Die Parterrewohnung in der Detmolder Straße 11 in Wilmersdorf war wegen der leichten Zugänglichkeit ideal als Durchgangsstation für die Flüchtenden.

Ihren späteren Ehemann, den Literaten und Geisteswissenschaftler Hans Hirschel, versteckte sie ab 1942 zwei Jahre lang in ihrer Wohnung, obwohl die Gestapo auf die Gräfin aufmerksam geworden war. Als Ende 1943 bei ihr eine Wohnungsdurchsuchung durchgeführt wurde, war beinahe das Ende ihre Freundes Hirschel und ihr eigenes gekommen.

Hirschel hatte sich in der schweren Bettcouch versteckt, die die Gestapo-Leute zu öffnen versuchten. Maria von Maltzan machte den Leuten den tolldreisten Vorschlag, sie könnten doch in die Couch schießen, wenn sie unbedingt feststellen wollten, ob dort jemand versteckt sei. Den Schaden an der Couch müßten sie ihr aber ersetzen.

Das war den deutsch-korrekten Beamten des Terrorregimes zu riskant, sie zogen ab. Bei diesem Besuch mußte Maltzan auch noch erklären, wem die Männerkleidung in der Wohnung gehöre. Sie verwies auf ihren schwedischen Freund Eric Svendson, der auch als Vater ihres Kindes herhalten mußte, das in Wirklichkeit von ihrem späteren Mann, Hans Hirschel, stammte. Das Kind kam 1942 einen Monat zu früh auf die Welt und starb kurz darauf.

Die beiden russischen Mädchen aus einem Kinderlager, die sie 1944 bei sich aufnahm, waren ihr nach Kriegsende behilflich, mit den sowjetischen Besatzungstruppen klarzukommen, deren Pferde sie in Wilmersdorf betreute. Daß die beiden Kinder bald nach Kriegsende nach Rußland zurückmußten, hat sie hart getroffen.

Die kurz nach dem Krieg mit Hans Hirschel geschlossene Ehe scheiterte bald. Die Gräfin ließ sich als Tierärztin zuerst in Charlottenburg, dann in Kreuzberg mit ihrer Praxis nieder. Durch ihre Kleintierpraxis sind viele Hunde und Katzen gegangen und Vögel geflogen. Vielleicht war sie wegen ihres ungewöhnlichen Lebensstils – sie lebte mit Papagei und einem Affen zusammen – gerade bei den Punks in Kreuzberg besonders beliebt.

Leicht hat sie es sich und den andern nicht gemacht. Alkohol- und Morphiumsucht mußte sie überwinden. Nachdem sie 1986 ihre Lebenserinnerungen veröffentlicht hatte, tingelte die mittlerweile 77jährige alte Dame durch Deutschland, um ihr Buch vorzustellen. Eine Freundin las, sie saß daneben und rauchte ihre Zigarillos.

Das Buch war übrigens in der DDR unerwünschte Literatur. Am Weihnachtsabend des Jahres 1987 mußte ich es an der Grenze zurücklassen, da man mir mit diesem Geschenk die Weiterreise nicht gestatten wollte. Die DDR-Bürokraten hatten nach halbstündiger Lektüre wohl Anstoß an den Schilderungen der Vergewaltigungen durch sowjetische Soldaten nach Kriegsende genommen. So mußte das Buch der Widerstandskämpferin gegen den Faschismus an der Grenze zurückbleiben, und ich kam ohne ein Weihnachtsgeschenk und mit Wut im Bauch zu meiner Tante.