Nur ein ruhiger Ort zum Leben

■ Oberstes Gerichtsurteil bringt Tausende Afghanen der Abschiebung näher: Bürgerkrieg begründet noch keinen Anspruch auf Asyl

Für das Bundesverwaltungsgericht in Berlin war es lediglich eine Bekräftigung seiner Spruchpraxis – für Bürgerkriegsflüchtlinge aus Afghanistan bedeutet die jüngste Entscheidung der Richter das Ende ihrer Hoffnung, in Deutschland Asyl zu finden. Nach deutschem Recht habe ein Bürgerkrieg für Asylverfahren ähnliche Bedeutung wie eine große Naturkatastrophe, befand das Gericht: Beide begründeten keinen Anspruch auf Asyl. Als Staat sei Afghanistan zerfallen, und Übergriffe der Taliban oder von Warlords könnten nicht als staatliche Verfolgung gelten. (Az.: 9 C 34 96)

Das Bundesverwaltungsgericht kassierte damit Urteile von Gerichten in Hessen und Bayern, denen zufolge Verfolgung nicht an gesamtstaatliche Strukturen gebunden sein muß. Das neue Urteil versetzt nicht nur Tausende von Afghanen, eine der größten Emigrantengruppen hierzulande, in Schrecken, sondern auch Somalis oder Liberianer. Sie alle leiden unter demselben Paradox deutscher Asylpolitik: Während die Zahl der Bürgerkriegsflüchtlinge eher zunimmt, schließt die Rechtsprechung in der Bundesrepublik Flucht vor Bürgerkrieg als Anerkennungsgrund aus.

Ein Afghane, der in der Flüchtlingsarbeit aktiv ist, befürchtet, daß die Berliner Entscheidung eine Vorstufe für baldige Abschiebungen sein könne. Gescheitert sei das bisher nur an einem „technischen Problem“: „Es gibt keine direkte Flugverbindung.“ Doch seit 1995 existiert ein Rückübernahmeabkommen mit Pakistan, von wo aus Afghanen in sogenannte sichere Gebiete weitergeschoben werden könnten.

Wali Safi* hatte einfach Glück. Dem Asylantrag des früheren afghanischen Diplomaten, der sich nach der Machtübernahme der Mudschaheddin 1992 fürchtete, in seine Heimat zurückzukehren, wurde 1995 stattgegeben. Die Mudschaheddin hatten, wie er wußte, die Kartei des Kabuler Außenministeriums unversehrt übernommen. Als von dort die Order kam, er solle sich zurückmelden, konnte er sich den Rest zusammenreimen: Kurz zuvor war an einem Straßenrand in Kabul die Leiche seines ehemaligen Botschafters aufgetaucht.

Mit Hilfe dieser Agenturmeldung und anderer Papiere konnte der gelernte Soziologe beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge seine herausgehobene Stellung im Regime des ermordeten Expräsidenten Nadschibullah nachweisen, die für ihn bei seiner Rückkehr akute Lebensgefahr bedeuten würde. Seit 1993 gibt es keinen generellen Abschiebestopp für Afghanen mehr. Abdullah A., ein ehemaliger Kollege Safis, der in München lebte, hielt diese Ungewißheit nicht aus. Im Juli 1995 erhängte er sich.

Das Asylverfahren von Moslema Taraki ist immer noch nicht entschieden. Ihr Mann, mit dem ersten nachrevolutionären Präsidenten Afghanistans verwandt, wurde im April 1992 von Mudschaheddin verhaftet, wieder freigelassen – und am nächsten Tag auf offener Straße erschossen. Anderen Verwandten ging es ebenso. Für die Kinderärztin war das „Sippenmord“. Sie verließ mit ihrer jetzt 16jährigen Tochter das Land, beide leben inzwischen in einer kleinen Wohnung in Schwerin, nachdem sie jahrelang in einem Zimmer in einer Baracke auf einem verfallenden Kasernengelände zubringen mußten.

Annette Köppinger, die engagierte Ausländerbeauftragte der Stadt, hatte gegenüber dem Land endlich die „dezentrale Unterbringung“ der Flüchtlinge durchsetzen können. „Wir wollen nicht einmal einen Paß, wir wollen nur einen Platz, an dem wir ruhig leben können“, sagt Moslema Taraki.

Überhaupt keine Chance hat, wer illegal einreist wie die 13 Afghanen, die die Polizei letzten Dienstag in Leipzig aufgriff. Sie waren zunächst nach Nordafghanistan geflüchtet, bis sie auch dort nicht mehr sicher waren. Thomas Ruttig

*Name von der Redaktion geändert

Siehe auch Seite 11