Falsche Randzeichen

■ Briefmarken zum 200. Geburtstag Heinrich Heines gestoppt. Runenzeichen irritierten

Berlin (taz) – Auch zu seinem nunmehr 200. Geburtstag ist Heinrich Heine noch für einen politischen Skandal gut. Gestern hat die Deutsche Post AG den Verkauf einer Sonderbriefmarke zu Ehren des Dichters gestoppt. Allerdings sind diesmal nicht die spöttischen Verse des Düsseldorfer Dichters (1797–1856) der Grund, sondern ein gestalterischer Fauxpas, der dem Herausgeber der Marke passierte. Denn wer bis gestern die Sondermarke im Zehnerblock am Schalter kaufte, mußte verwundert feststellen, daß die Ränder des Blockes, also jene Papierstreifen, die gewöhnlich in den Papierkorb wandern, mit zwei germanischen Runenzeichen versehen waren.

Die Runenschrift, die als älteste Schrift der germanischen Völker gilt, wurde mit Vorliebe von den Nationalsozialisten benutzt, von Organisationen wie der SS. Heute werden sie deshalb von rechtsextremen Gruppen als Ersatz für gesetzlich verbotene NS-Symbole verwendet. Besonders pikant: Die abgebildeten Runen Madr und Yr wurden 1943 auf einer Sonderbriefmarke zu Ehren des SS-Oberführers und Chefs des Sicherheitshauptamtes, Reinhard Heydrich, verwendet.

Im Postministerium reagiert man auf solche Vergleiche beleidigt: Der Rand des Markenblocks zähle nicht zum „hoheitlichen Bestandteil“ des Ministeriums und habe nicht dem üblichen Genehmigungsverfahren unterlegen. Verantwortlich sei allein der mit der Gestaltung beauftragte Graphiker Gerhard Lienemeyer aus Offenbach. Dabei gilt Lienemeyer, Jahrgang 1936, in der Kunstszene doch eher als waschechter Achtundsechziger. Einst der bekannten Graphikergruppe Rambow-Lienemeyer-van de Sand zugehörig, gestaltete er Protestplakate für die Studentenbewegung und fertigte Fotocollagen unter anderem für die Zeitschrift konkret an.

An der Hochschule für Gestaltung in Offenbach, wo Lienemeyer studiert hat, ist man entsprechend überrascht: „Für den Lienemeyer leg' ich meine Hand ins Feuer“, sagt Friedrich Friedel, Professor für Typographie an der Schule. „Nie und nimmer ist der ein Nazi.“ Gerhard Lienemeyer selbst will in Unwissenheit gehandelt haben. Bei der Gestaltung der Briefmarkenblöcke habe er sich auf ein Buch des Schweizer Schriftfachmanns Adrian Frutiger gestützt, so Lienemeyer. Heinrich Heine hat sich zeitlebens über Deutschtümelei lustig gemacht.

Von der umstrittenen Marke, die seit Anfang November auf dem Markt ist, sind nach Schätzungen der Post AG etwa die Hälfte der ersten Auflage, also etwa 44 Millionen, an den Verkaufsschaltern gelandet. Karlfried Kraus, Leiter eines Auktionshauses für Briefmarken in Potsdam, gibt sich deshalb gelassen: „Die Marke eignet sich kaum als Spekulationsobjekt.“ Ganz im Gegensatz offenbar zum ähnlich gestalteten „Heydrich- Block“ von 1943. „Der ist im Katalog heute mit 30.000 Mark notiert“, so Kraus. Noel Rademacher