"Objektiv war der Rücktritt ein Fehler"

■ CDU-Rechtsaußen Heinrich Lummer zieht zu seinem heutigen 65. Geburtstag Bilanz: Die Entwicklung der Republikaner zu einer demokratischen Partei habe er falsch eingeschätzt, dennoch fehle eine konser

taz: Herr Lummer, warum treten Sie ab?

Heinrich Lummer: Ich hoffe, daß Sie nicht unterstellt haben, ich hörte auf, weil ich keine Unterstützung mehr hätte. Ich wäre hier in Spandau ohne weiteres wieder Kandidat geworden, und es gibt Leute, die mich immer noch bewegen wollen zu kandidieren. Es sind mehrere Gründe, die mich bewegen aufzuhören. Zum einen ärgert mich die Schublade, in die man immer gepackt wird. Daneben lebt man in den Zeiten, in denen man Politik berufsmäßig betreibt, geistig aus der Substanz. Sagen Sie mir mal, wann ich ein Buch lesen soll, wann mich geistig regenerieren. Dieses Bedürfnis kommt irgendwann. Deshalb habe ich jetzt auch gesagt, daß ich wieder studieren will.

Aber Sie hören doch bestimmt nicht mit der Politik auf?

Ich weiß das wirklich nicht. Ich würde auch gar nicht ja oder nein sagen. Früher sagte man: Kommt Zeit, kommt Rat. Früher sagte man noch: kommt Attentat.

Aber man kann es sich schwer vorstellen, daß Sie in der FU sitzen und philosophischen Vorlesungen lauschen.

Nein? Weil Sie mich in eine Schublade gepackt haben.

Meinen Sie nicht, daß Ihnen ein bißchen langweilig wird. Hoffen Sie nicht doch insgeheim, noch mal rekrutiert zu werden?

Was heißt denn hier, insgeheim hoffen? Ich könnte weitermachen, es hat mich doch keiner rausgeschmissen. Im Gegenteil, man hat mich gebeten weiterzumachen.

Ursprünglich wollten Sie doch einmal Theologie studieren und Mönch werden. Warum sind Sie dann in die Politik gegangen?

Weil in der Politik auch eine gewisse Affinität zum Leben eines Theologen besteht. Man hat mit Menschen zu tun, man muß Menschen überzeugen und agitieren.

Wenn Sie jetzt Bilanz ziehen, was würden Sie als Erfolge Ihrer politischen Predigt ansehen?

Was nach außen am ehesten sichtbar ist, war die Zeit als Innensenator. Da habe ich Entscheidungen getroffen, die wirksam geworden sind: Sparmaßnahmen im öffentlichen Dienst zum Beispiel. Damals haben wir mehrere tausend Stellen eingespart. Dann rechne ich die Beendigung der Hausbesetzungen zu meinen Erfolgen. Damit einher ging, den Druck von der Straße zu nehmen. Damals hatten wir teilweise Riesendemonstrationen, die das Ansehen und Aussehen Berlins nachhaltig beeinträchtigt haben und der Stadt Schaden zugefügt haben.

Und die Mißerfolge und Fehler?

(lange Pause) Objektiv gesehen war es ein Fehler gewesen, zurückzutreten. Objektiv.

Wäre es denn möglich gewesen, im Amt zu bleiben, angesichts des damaligen Drucks?

Sie sehen ja beim brandenburgischen Minsterpräsidenten Stolpe, wie der den Druck aushält.

Zurückgetreten sind Sie ja damals wegen der Zahlung von 2.000 Mark an Rechtsradikale im Wahlkampf 1971.

Nein. Deshalb bin ich nicht zurückgetreten. Ich bin zurückgetreten, weil der Regierende Bürgermeister es gewünscht hat. Wegen so einer Sache würde ich doch nicht zurücktreten. Ich bin doch nicht blöd.

Besonders, weil es damals fünfzehn Jahre zurücklag?

Das waren doch Peanuts.

Sie haben immer am rechten Rand Wählerstimmen gebunden. Als Sie weg waren, zogen die Republikaner bei der nächsten Wahl ins Abgeordnetenhaus ein. War das eine Folge Ihres Rücktritts?

Das sagen Sie. Wahrscheinlich stimmt es aber.

Ein Part Ihrer Rolle war, die Rechten in Schach zu halten, damit diese nicht hochkommen. Aber Sie haben die Rechten doch dadurch auch gestärkt, daß Sie sie für koalitionsfähig erklärt haben?

Ich gebe zu, daß es vielleicht eine Fehleinschätzung war oder eine falsche Hoffnung, daß die Republikaner eine solide, konservative Partei werden würden. Das hatte ich für möglich gehalten. Das sind sie leider nicht geworden. Bis heute aber ist klar, daß es einen Bedarf gibt für eine rechte, konservative, anständige Partei.

Sie mußten doch aber nicht unbedingt den „rechten Paten“ spielen.

Das war ich nicht. Ich habe nur angesprochen, daß ich die Republikaner für einen möglichen Koalitionspartner für die Zukunft halte, wenn diese Partei sich im demokratischen Rahmen bewegt und sich positiv entwickelt.

Sehen Sie es heute nicht dennoch als Fehler?

Im nachhinein gesehen, hat es mir persönlich geschadet. Das ist gar keine Frage. Das war einfach eine Fehleinschätzung.

Sie treten bei rechtsextremen Burschenschaften auf, Sie schreiben in der „Jungen Freiheit“. Wo ziehen Sie denn die Grenze nach rechts?

Für eine Auseinandersetzung gibt es für mich keine Grenzen. Ich rede mit der SED oder mit ihren Nachfolgern, und ich fange auch nicht bei solchen Burschenschaften an nachzuprüfen, wo genau die jetzt stehen. Wie komme ich denn dazu. Da sage ich meine Meinung, und dann hat sich die Sache. Das ist die eine Seite. Da sehe ich keine Grenzprobleme. Da würde ich sogar sagen, wenn diese Gruppen die Grenzen überschritten haben, muß man dort überzeugen.

Wenn aber eine Gruppierung verfassungswidrigen Charakter hat, dann wird es sehr problematisch. Herr Momper hatte mal eine Koalition mit der Alternativen Liste. Das war eine Gruppe, die war partiell verfassungswidrig, weil man sich von der das Gewaltmonopol des Staates schriftlich bestätigen lassen mußte in einer windigen Formulierung. Mit solchen Leuten kann man nicht koalieren.

Sie wollen doch nicht die damalige Alternative Liste mit den Republikanern gleichsetzen?

Was heißt denn gleichsetzen? Zumindest haben die Republikaner keine Gewalt gegen Sachen gerechtfertigt und das Gewaltmonopol des Staates nicht bestritten.

Sie haben öfter in der „Jungen Freiheit“ geschrieben, die auch in Verfassungsschutzberichten auftaucht. Sehen Sie es nicht so, daß Sie solche Publikationen dadurch aufwerten?

Ich mache mir nicht soviel Gedanken darüber. Früher habe ich mal in der Zeitschrift Mut geschrieben. Das war damals dasselbe Problem. Heute schreibt da jeder drin. Das wird mit der Jungen Freiheit genauso werden. Der Verfassungsschutz soll sich die anschauen, da habe ich gar nichts dagegen. Das Amt wird sehen, daß es eine relativ unergiebige Arbeit ist, die sich der Verfassungsschutz dort leistet.

Sie sehen in der „Jungen Freiheit“ etwas Positives wachsen?

Eine Stimme , die – so finde ich – in das Gesamtspektrum der Politik hineingehört. Meinetwegen auch wie die taz.

Haben Sie die Junge Freiheit jemals finanziell unterstützt?

Nein.

Wie weit geht denn Ihr Engagement?

Ich würde mir wünschen, daß die Zeitung nicht kaputtgeht. Ich glaube, sie ist ein Kolorit, das man auf der Seite braucht.

Ihr Engagement hat doch dazu geführt, daß Sie auch in Ihrer eigenen Partei politisch randständiger geworden sind. Tut Ihnen das denn weh?

Wenn es so wäre, würde es mir weh tun, aber das trifft nicht zu. Ich sage, daß meine Position von viel mehr Mitgliedern und Wählern der Partei getragen wird, als manche glauben. Außerdem ist es immer vernünftig, mit einem breiten Spektrum zu operieren. Franz Josef Strauß zum Beispiel war immer ein Mann, der den Leuten das gegeben hat, was sie brauchten: verbalen Radikalismus und Betonung bestimmter Positionen. Es gibt andere, die wollen es nicht so heiß, sondern soft. Wir haben das früher auch so gemacht: Peter Lorenz war der liberale Großstadtpolitiker, ich habe das andere mehr gemacht. Diese Seite wird in der CDU derzeit vernachlässigt.

Ihr Negativ-Image war – neben dem Vorwurf, sich zu weit nach rechts zu lehnen – lange durch die Räumung in der Potsdamer Straße bestimmt, als Hans-Jürgen Rattay starb. Sehen Sie da – mit immerhin 16 Jahren Abstand – nicht auch einen Fehler?

Der Vorgang ist ja hinreichend geklärt worden: Dem Busfahrer ist kein Vorwurf zu machen. Das ist die Seite des Sachverhalts. Die Frage ist, ob meine Anwesenheit dort vor Ort zu einer gewissen Eskalation beigetragen hat. Wenn das der Fall gwesen ist – was ich nicht genau beurteilen, aber auch nicht auschließen kann –, dann hätte ich dort nicht hingehen sollen. Aber ich wollte das Haus in dem Zustand sehen, in dem es die Besetzer bei der Räumung verlassen hatten. Damals gab es schließlich eine Auseinandersetzung darum, ob das Instandbesetzer oder Kaputtbesetzer waren. Ich habe immer gesagt, die meisten sind Kaputtbesetzer. Deshalb wollte ich ein Haus von innen sehen.

Ich wollte dabei nicht gesehen werden. Das ist nicht gelungen. Wenn es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Tod des Demonstranten und meiner Hausbesichtigung, dann wäre es dieser Besuch nicht wert gewesen. Wenn ich gewußt hätte, da bricht die Bambule aus, dann hätte ich gesagt, lassen wir das.

Dennoch ist das Bild entstanden, daß Sie dort in Siegerpose triumphieren.

Ein Bild entstand, als hätte ich dort im besetzten Haus eine Pressekonferenz gegeben. Das war nicht beabsichtigt, und es hat auch keine wirkliche Pressekonferenz stattgefunden. Aber wenn Journalisten fragen, was hätte ich denn tun sollen – Schnauze halten, das geht doch nicht.

Heinrich Albertz hat mal in einer solchen Situation gesagt: Als ich am stärksten war, war ich am schwächsten.

Das hört sich so biblisch an. Freund Gollwitzer hat auch gesagt, die Bergpredigt müsse man hundertprozentig anwenden. Das heißt aber nicht, die rechte Wange hinzuhalten, wenn ich schon auf die linke Wange was abbekommen habe. Das können Sie persönlich machen. Aber Staaten können sich so etwas gar nicht leisten.

Das hat Ihr Bild als „starker Mann“ unterstrichen, aber zugleich auch Ihre Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt, weil Sie fortan „Heinrich, der Mann fürs Grobe“ waren.

Das ist ja eine der unangenehmen Erfahrungen. Man wird in eine Schublade gepackt, Sartre nennt das „festgenagelt“. Die anderen Seiten sieht man nicht mehr, will sie auch gar nicht sehen. Vielmehr gefällt sich die Öffentlichkeit darin, einen in eine Schublade zu packen und dann: Punkt, aus.

Man erzählt sich aus damaligen Oppositionskreisen, daß Sie in Einzelfällen bei Ausländerfragen sehr kompromißbereit waren – allerdings nur, wenn dies unter strengstem Stillschweigen geschah.

Sie müssen doch ein Ziel vor Augen haben. Sie können nicht aus lauter Nettigkeit sagen, ich lasse jetzt alle Hilfsbedürftigen der Welt nach Deutschland rein. Das geht nicht. Da muß das Recht gesetzt und praktiziert werden.

Und Ihnen war es peinlich, daß bekannt werden könnte, Sie würden auch menschlich handeln?

Nicht peinlich.

Aber Sie haben auch nichts dazu getan, Ihr Rollenbild zu verändern?

Das Entscheidende ist die Anwendung des Gesetzes – das ist die Regel. Und das andere ist die Ausnahme.

Innensenator Jörg Schönbohm hat im vergangenen Jahr einen Straftäter wieder zurückholen lassen, weil dessen Abschiebung nicht korrekt und vorzeitig erfolgte. So etwas hätten Sie aber nicht gemacht.

Weiß ich nicht. Wenn ich aber weiß, der ist nach vier Wochen dann wieder raus, dann würde ich sagen, das ist ein bißchen viel Aufwand. Das kostet nur Geld des Steuerzahlers. Dann ist die Abschiebung eben ein vorzeitiger Eintritt einer ohnehin eintretenden Rechtmäßigkeit. Interview: Barbara Junge und Gerd Nowakowski