Sie rockt, also ist sie

■ Hochglanz, teuer, fett: Der "Rolling Stone", das Magazin für den bekennenden Rockisten, feiert runden Geburtstag - mit einer Sonderausgabe "Women of Rock". Trau keinem über 30?

Wenn der Rolling Stone so alt wird wie seine jüngsten Leser, nämlich 30, dann sollte man etwas Hübsches, aber nichts Außergewöhnliches erwarten. Das Magazin, das ja ehrlich genug ist, schon schon im Titel alles über sich zu verraten, funktioniert nämlich im Grunde erfolgreich nach dem Prinzip Bravo: „Sage mir, welche CD du kaufst, und ich schreibe dir die Geschichte dazu!“

Da aber über 30jährige Menschen mit CD-Turm, CD- Wechsler und teuren Anlagen im Vergleich zu ihren Kindern kaum noch über Nacht von Pop-Hysterien befallen werden, da sie sich vielmehr im Format „adult orientated rock“ kuschelig eingerichtet haben, ist der Rolling Stone eine professionell überraschungsfreie Zone mit Exklusivinterviews hier und bunten Bildern dort.

Schlimm ist das nicht, und die Leute, die ganz ungebrochen daran glauben, daß Bob Dylan ein „großartiger Songwriter“ und U2 eine „bedeutende Rockband“ sind, mit deren Produkten man sich seinen teuer bezahlten CD- Turm bis zum Jüngsten Gericht auffüllen kann, sollen ja auch ihre Freude haben. Dann gibt's auf einmal das amerikanische Jubiläumsheft. Auf dem Cover: Courtney Love, Tina Turner, Madonna – „Women Of Rock“. Eine Ausgabe, die komplett den weiblichen Rockstars according to Rolling Stone gewidmet ist. Hochglanz, teuer, fett. Nach 30 Jahren wird an der Inszenierung der Ladies nicht gespart.

In den Anfangsjahren dafür schon. Da packte man lieber die Stones, Dylan und Hendrix im Rotationsprinzip aufs Cover. Wobei wir wieder bei Bravo wären und feststellen, daß die ganze Nummer heute tatsächlich nichts Außergewöhnliches an sich hat: „Frauen sind in den Charts wieder ganz oben“, gibt Joel Whitburn von Billboard als erste und einzige Begründung zum Heft im Editorial an. Zeit also, als Serviceleistung gewissermaßen, die Geschichte zu den diesjährig erworbenen CDs hinterherzuliefern. Und überhaupt, was soll falsch daran sein? Warum sollen Frauen nicht auch mal nur anhand ihres kommerziellen Erfolgs beurteilt werden?

Der Service jedenfalls, den das Jubiläumsheft liefert, ist perfekt, eben amerikanisch. Chronistenpflicht übererfüllt. Im hinterern Teil gibt es Interviews mit Dutzenden Stars, keine soll sagen, sie sei vergessen worden. Am aufwendigsten jedoch bereitet Gerri Adams im Heft in Taschenbuchlänge die Geschichte von Musikerinnen der letzten 40 Jahre aus: von Big Mama Thornton, der ersten Bluessängerin auf Tour über Joni Mitchell bis Courtney Love. Dabei geht es weniger um die Analyse der Historie als um die reine Beschreibung der Frauen – mit ein bis zwei Anekdoten, Zitaten und der Aufzählung ihrer größten Erfolge.

Natürlich waren alle irgendwann mal in den Charts, weswegen Adams, wie früher die liberalen Kunstlehrerinnen, auf eine Bewertung verzichtet: alle gut, bis auf manche, wie Janis Joplin oder Madonna, die kriegen ein sehr gut verpaßt. Verwoben ist das Ganze in soliden Journalismus, durchdrungen von einem westküstigen Positivismus, frei nach dem Motto: Sie rockt, also ist sie ganz sie selbst.

Auch die erwähnten „Importe“, von den Slits bis Björk, oder auch HipHopperinnen wie Queen Latifah werden vor allem auf ihren Authentizitätsfaktor hin untersucht: Harte Kindheit, wilde Jugend und dann endlich Erfolg. In dieser Geschichtsschreibung ist kaum Platz für Uneindeutigkeiten oder Interpretationsmodelle namens Pop.

Da der Rolling Stone nie behauptet hat, eine Semesterarbeit für ein Gender-studies-Seminar zu sein, ist das aber in Ordnung. Hätten aufsässigere Magazine jedoch nur ein Viertel des Budgets dieser Ausgabe, könnte man diese Jubiläumsausgabe wahrscheinlich getrost – na ja, nicht einstampfen, aber beim Friseur lesen. Heike Blümner