Wohnungen am Wühltisch

■ 200 Wohnungen stehen im Märkischen Viertel leer. Die GeSoBau lockt mit Sonderangeboten

An Samstagen pflegt Monika Schubert aus Reinickendorf einkaufen zu gehen. Diesmal sollte es eine neue Wohnung sein.

Ihr Lebensgefährte ist gestorben. Ihr Vater ist gestorben. Die üppige Drei-Zimmer-Wohnung braucht sie nun nicht mehr. Teuer sei sie zudem: 1.200 Mark und zwei Pfennige, warm. Warum sich nicht umschauen nach etwas Kleinerem und Billigerem? Im Norden von Berlin sollte es schon sein. Sie arbeitet als Friseuse in Hermsdorf.

Monika Schubert nimmt am Samstag den Bus, fährt von der Wittestraße hinüber an den Wilhelmsruher Damm. Es ist ihr zweiter Besuch im „Märkischen Viertel“. Das erste Mal war sie im „MV“, als sie am Knie operiert werden mußte. Und jetzt ist sie gekommen, um im „Wohnungskaufhaus“ der Gesellschaft für Sozialen Wohnungsbau (GeSoBau), getarnt als Wohnungsbörse, ein Schnäppchen zu schlagen – und künftig für immer in dem Neubauviertel zu bleiben.

Die Schnäppchen der GeSoBau prangen an der Eingangstür: „Im Herzen vom MV“ steht hinter dem 1.180-Mark-Angebot Drei-Zimmer-Wohnung, dritte Etage, 85,96 Quadratmeter; „Groß!“ steht hinter der 1.309-Mark-Offerte Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung, 12. Etage, 90,6 Quadratmeter. Von den 15.800 Wohnungen der GeSoBau im Märkischen Viertel stehen derzeit 200 leer. Mieter sind weggezogen, unter anderem ins Umland. Grund: Die in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegene Fehlbelegungsabgabe für öffentlich geförderten Wohnraum hat den Erwerb von Eigentum verlockend gemacht. Daß Mieter auch deshalb weggezogen sind, weil ihnen der Hochhaus-Kosmos „Märkisches Viertel“ zu unattraktiv ist, will Stefan Wosche-Graf, Diplomsoziologe und Prokurist bei der GeSoBau, nicht bestätigen. Eine „olle Kamelle“ sei die Bezeichnung „grüner Slum“. Vielmehr verbindet Wosche-Graf mit dem „Märkischen Viertel“ eine „gute Infrastruktur mit Kindergärten und Schulen, eine reges Vereinsleben und die Nähe zum grünen Umland“. Er selbst wohnt in Heiligensee, hätte aber keine Probleme damit, im „MV“ zu wohnen. Die Probleme – 16 Prozent Arbeitslose, Graffiti-Schmierereien, Hundehaufen – gebe es auch anderswo. Die GeSoBau, die Wosche-Graf gern auch als eine Art „zweites Rathaus“ bezeichnet, versucht diese in den Griff zu kriegen. Sieben legale Graffiti-Wände wurden ausgewiesen und 33 Hundetoiletten im Viertel aufgestellt.

Auf ihr „MV“ läßt Familie Lihring nichts kommen: Gute Verkehrsanbindung, gute Einkaufsmöglichkeiten, viel Grün drumherum. Was nicht schön ist: Der Fahrstuhl streikt hin und wieder, an manchen Ecken treiben es die Jugendlichen zu bunt. Seit fast dreißig Jahren wohnen Werner und Kreszenz Lihring im „MV“ – und jetzt wollen sie innerhalb des Viertels umziehen. Die Kinder sind aus dem Haus. Deswegen sind sie ins „Kaufhaus der Wohnungswünsche“ gekommen.

Mehr Interessenten als freie Wohnungen warten Schlange. Evita Baumberger, vor sechs Jahren von der GeSoBau als Sozialarbeiterin eingestellt, versucht sich als Verkäuferin. Weist Monika Schubert den Weg in das Zimmer, an dessen Tür ein Schild mit der Aufschrift „Zwei-Raum-Wohnungen“ hängt und erzählt dann, daß die GeSoBau bemüht ist, die soziale Mischung im Viertel zu wahren. 40 Prozent der 44.000 Bewohner sind Fehlbelegungszahler, also Besserverdienende, die es zu halten gilt. „Noch ist das soziale Gefüge intakt“, sagt Evita Baumberger. Das „noch“ aus ihrem Munde läßt die Befürchtungen der städtischen Wohnungsbaugesellschaft erahnen. Aber die Senatsentscheidung, die Fehlbelegungsabgabe ab Frühjahr teilweise oder für manche Gebiete ganz abzuschaffen, hat wieder Hoffnung aufkommen lassen. Zudem lockt die GeSoBau mit einem „Aktivbonus“ für Selbermacher. Übernehmen die neuen Mieter vor Einzug Schönheitsreparaturen, gewährt die Gesellschaft einen finanziellen Zuschuß in Form von Mietfreiheit für den Renovierungszeitraum oder Ausbau- und Zuschußverträge.

Monika Schubert ist am Samstag fündig geworden: Eine Ein- Raum-Wohnung, 50 Quadratmeter, „schön geschnitten“, 600 Mark, warm. Für Donnerstag hat sie einen Besichtigungstermin vereinbart. Jens Rübsam