Ein Spiel, was sonst

■ Am Theater Nordhausen inszenierte Armin Petras Büchner und Fritz Kater. Und der Intendant Nix gab das Ende seiner Amtszeit bekannt

In unschuldigem Weiß sitzen sie auf der leeren Bühen aufgereiht und spielen das Spiel „Mein liebster Revolutionär“. James Watt, Böhse Onkelz, Otto Lilienthal, Jesus Christus, Simon Bolivar, Jacques Cousteau sind dabei, aber auch die Fernsehsendung „Mona Lisa“ und der Wissenschaftler Manfred von Ardenne („weil er die Fernsehandenne erfunden hat...“). Regisseur Armin Petras und seine jungen Schauspieler spielen ein Spiel mit Büchners „Dantons Tod“, sie nehmen ihn ernst, indem sie mit ihm herumkaspern. Im Kostüm von gestern sind die Revolutionäre Leute von heute auf einer Art Flugplatz: Granulat auf dem Boden, blinkende Lichter an den Seiten, eine steile Gangway als Empore und ein Luftsack, der sich manchmal im Winde bläht.

Eine Jugendszene im Aufruhr der Gefühle. Immer locker, immer skeptisch. Wenn Danton der hier schwangeren Julie sehnsüchtig anvertraut, daß er ihre Schönheit ganz in sich fassen wolle, reagieren die anderen genervt. Verweigerung einer so nicht hingenommenen Realität, Büchners Stück als Bruchstücke einer ironisierten Spaßkultur. Petras hat viele Ideen, und seine Darsteller, von denen etliche mehrere Rollen spielen, sie zitieren und parodieren mit diszipliniertem Spielspaß die Figuren. Wenn die Revolutionäre im Gefängnis sind, singen sie „Lucie in the skies...“, und mit dem Lied der Mutter Courage wird ein schäbiger Campingwagen auf die Bühne gezogen: ein Bordellwagen, um den die komisch-bittere Volksszene tobt, in der bei Büchner ein Ehepaar sich um die als Hure arbeitende Tochter kabbelt.

Die Inszenierung zappt von einem Gedanken zur anderen Idee, findet Bilder und Töne der munter unterschiedlichen Art. Robespierre (Sebastian Hartmann kahlköpfig mit Nickelbrille) und Danton (Guido Lambrecht mit blaugefärbter Haartolle) brechen bei ihrem Streitgespräch durch den Erdboden, planschen und streiten sich im Wasser. Die Inszenierung als Sound der Gefühle, fast immer mit unterlegter Musik. Natürlich öfter in die Produktionsrealität ausbrechend, mit Hilferufen nach dem Inspizienten und den Bühnenarbeitern. Doch Robespierre muß alles selber machen, auch die Stühle wegräumen. Und die Guillotine des eisernen Vorhangs, die Danton mit seinem Kopf anhält, versucht er durch eine elektrische Säge und eine Kanone zu ersetzen. Aber heute wird der revolutionäre Elan ganz anders erledigt. Auf dem Campingwagen prangt die Reklame „Willkommen Generation Golf“, und alle hüpfen wie Frösche mit Tauch- und Badeutensilien in unsere Freizeitgesellschaft hinein.

Eine Inszenierung zwischen Kabarett und Dekonstruktion, Bebilderung und Veralberung, die den Grundkonflikt zwischen humanistischen Idealen und scheinbar politischen Notwendigkeiten unter der Skepsis gegenüber der Möglichkeit autonomer Handlungen von Anfang an begräbt. Ein Spiel, was sonst. Mit Anspielungen auf unsere blühenden Landschaften und einer Showeinlage mit Publikumsbeteiligung. Armin Petras ist ein Phänomen. Alle vier Wochen wirft er eine Inszenierung auf den Markt zwischen Leipzig und Mannheim, Nordhausen und Berlin. Fester Regisseur am Schauspiel Leipzig, Schauspieldirektor in Nordhausen, Gast an vielen Orten, er hat Elan und viele Ideen – aber keinen einheitlichen Stil. Durch Büchner huscht er mit Geschick, ohne daß er ihm ganz auf den Grund kommt. Doch theatralisch spannend ist die Inszenierung selbst da, wo sie inhaltlich nur Behauptung bleibt.

Danach dann auf der Hinterbühne der Regisseur in Doppelfunktion: als Regisseur eigener, unter dem Pseudonym Fritz Kater veröffentlichter Texte. „Schwarz – Ein Schnitt. Ejakulat aus Stacheldraht II“ heißen die drei auf mehrere Personen aufgefächerten Monologe, die Petras bereits 1993 in Frankfurt (Oder) zur Uraufführung gebracht hat. Entfesselte Wertschwallstücke mit prasselnden, heftigen Metaphern über Selbstmörder: ein DDR-Heimkind und Straßenmädchen, ein Künstler im Rausch der Whiskey- Melancholie, ein Ingenieur im Anglerdress, seinen Jammer ausschüttend vor einem Schwan. Szenen, die sich wie Springseile ziehen. Mühsames Bedeutungstheater mit kunstvoll überdrehenden Schauspielern.

Begonnen hatte der Abend am Theater Nordhausen übrigens mit einem Projekt des Jugendclubs im Theater unterm Dach. Drei Jugendliche mit szenischen Reflektionen über die Frage „Revolution: was bleibt?“ Alltagsbeobachtungen, kritische Selbstbefragung, spielerisch erstaunlich locker und souverän zugleich dargeboten.

Dann das Endspiel als Zwischenspiel: die Pressekonferenz des Intendanten Christoph Nix vor der „Danton“-Premiere. Nix, der auch als Clown und als Rechtsprofessor arbeitet und mit dem Slogan „Nix wie hin“ wirbt, sieht keine Vertragsverlängerung und keine Zukunft in Nordhausen für sich. Querelen um die Verringerung des städtischen Zuschusses, Vorwürfe gegen die Ästhetik des Theaters trotz Publikumserfolgs, Intrigen: ein Sumpf, aus dem sich der gern als Paradiesvogel im grauen Nordhausen dargestellte Intendant nun schweren Herzens rettet.

Ob das Szenario „engagierter Intendant gegen Operetten-Provinzpolitiker“ stimmt, kann der nur gelegentliche Besucher von Nordhausen schwer entscheiden. Die Zeichen sprechen leider dafür. Doch Experimente gab es in Nordhausen auch schon früher: Zu Beginn der 80er Jahre sah ich hier aufregende Projekte mit Heiner Müller und Volker Braun, später brachte Intendant Michael Schindhelm neuen Schwung. Ganz im Theaterprovinz-Alltag sollte Nordhausen auch nach Nix nicht versinken. Hartmut Krug