Techno-Beat, Goethe-Geld

An einer kühlen Flußpromenade, wo sonst nur Mücken tanzen, steigt Südamerikas erste Love Parade  ■ Aus Buenos Aires Ingo Malcher

Diese Kulturveranstaltung wird Ihnen präsentiert von Goethe-Institut und Lufthansa: Zwischen zwei alten grünen Laternen an der Flußpromenade Costanera Sur flattert die Fahne des Goethe-Instituts, an der Tanzfläche zwischen den Bäumen hängen zwei orangenen Lufthansa- Transparente. Dazwischen tanzen Jugendliche mit blond gefärbten Rastazöpfchen und Adidas-Stoffjacken zu 120 Beats pro Minute schnelle Technomusik. Der versprühte Bodennebel zieht wegen des starken kalten Windes schnell nach oben und wird von der Lichtanlage mal grün, mal blau oder violett gefärbt. Etwas abseits davon müht sich gerade der eitle Reporter des regierungseigenen Fernsehkanals ATC, mit hellem Anzug vor der Kamera seinen Aufsager hinzubekommen. Hinter seinen Schultern versuchen einige Tanzgäste ins Bild zu winken, damit ihre Eltern sie sehen können.

Die Costanera Sur, eine Flußpromenade am Rio de la Plata abseits vom Zentrum von Buenos Aires, ist Schauplatz des ersten Open-air-Rave der argentinischen Hauptstadt. Im Freien hat es so etwas in der Millionenmetropole bisher noch nicht gegeben, „weil wir schlicht keine Erlaubnis dafür bekommen haben“, erzählt die 27jährige DJ Carla Tintoré. Daher mußte erst das Goethe-Institut die deutschen DJs „Bled“ und „Tripple R“ zu einer Veranstaltungsreihe über Techno einladen und an einem Freitagabend einen Rave mit argentinischen DJs organisieren. Und wer könnte einer korrekten Institution wie dem Goethe-Institut schon den Wunsch abschlagen, einmal „umsonst und draußen“ zu feiern? Die kulturbewegte Stadtregierung von Buenos Aires auf keinen Fall. Sie sprang für das Ereignis sogar als Mitveranstalterin ein.

Techno ist in Argentinien kein Massenphänomen, sondern die Musik einer kleinen, handverlesenen Szene. „Aber dafür ist die Szene hier nicht so differenziert wie in Europa“, meint Carla. „Bei unseren Raves kommen ganz unterschiedliche Leute zusammen.“ Dennoch, wer hier hinkommt, ist cool oder hält sich dafür. Osvaldo Miranda, einer der Tanzgäste, sagt grinsend und selbstironisch: „Somos del palo: Wir sind ultracool. Der 28jährige mit dem Piratenkopftuch meint das nicht ganz so ernst, wechselt lieber schnell das Thema und zeigt auf den Ring, den er seiner Freundin geschenkt hat, der leuchtet in der Dunkelheit nämlich giftgrün. „Es geht mir bei den Technoparties nicht darum, mich zur Schau zu stellen“, behauptet Osvaldo. „Ich will einfach tanzen.“

Obwohl der Sommer in Buenos Aires in diesem Jahr noch auf sich warten läßt, kommen zur Technoparty draußen am Fluß verhältnismäßig viele Leute: Knapp 4.000 dürften es den Abend über schon sein, die Veranstalter hatten mit wesentlich weniger Besuchern gerechnet. Allerdings haben alle großen Tageszeitugen das Ereignis angekündigt. Die Love Parade im Sommer in Berlin hat das Interesse an Technomusik auch in Südamerika steigen lassen.

An Sommerwochenenden strömen die „Portenos“, wie die Einwohner von Buenos Aires heißen, sonst in Massen an die Costanera Sur, um dem Häusermeer zu entgehen und etws Grün zu erheischen. Auf den Rasenflächen spielen sie Fußball, trinken Mate-Tee mit dem silbernen Strohhalm oder machen Picknick. In billigen Grillrestaurants sitzen mittags Taxifahrer auf Plastikstühlen und verspeisen Steaks. Der Grillrost steht im Freien, darauf garen Berge von Fleisch vor sich hin, daneben liegt das zurechtgesägte Brennholz. Heruntertropfendes Fett rinnt langsam über den Gehweg in die Regenrinne. Abends spazieren Verliebte an der alten Promenade entlang und lassen sich von Mücken piken.

Im Jahr 1918, als Argentinien boomte und Buenos Aires das Paris Südamerikas genannt wurde, weihte die damalige Stadtregierung die Promenade an der Costanera Sur ein. Dort wo jetzt Techno aufgelegt wird, befanden sich einst die Umkleidekabinen und Büros eines populären Strandbades. Nachts wurde hier Foxtrott getanzt oder Karneval gefeiert. Im Niemandsland zwischen Stadt und Fluß fand auch der Brunnen der Nereidas sein Exil, der wegen der nackten Frauenstatuen als zu verwegen für den Regierungspalast galt.

Heute ist die Costanera Sur wenig gepflegt, an manchen Stellen stinkt es nach faulen Eiern, an anderen wurde tonnenweise Bauschutt in den Fluß gekippt – eine Stadtautobahn sollte gebaut werden, doch auch dieser Plan wurde nie verwirklicht. Früher faszinierte die Gegend sogar auch den Architekten Le Corbusier. Er träumte davon, an der Costanera Sur eine künstliche Insel in den Rio de la Plata zu schütten und darauf 200 Meter hohe Wolkenkratzer in die Höhe zu ziehen. Es blieb beim Traum.

Daß eine offizielle Organisation wie das Goethe-Institut den ersten Open-air-Rave der Stadt veranstaltet, hindert die Polizei nicht daran vorbeizuschauen. Sie kontrollieren die Ausweise derer, die auf dem Weg zum Goethe-Rave sind, fragen nach dem Alter. Eine Klofrau regt sich darüber auf: „Ausgerechnet bei einer solch friedlichen Veranstaltung kommt die Polizei!“ Erst als Beamte der Stadtverwaltung auftauchen, gehen die Uniformierten etwas auf Distanz. Zuvor hatten sie schon den Alkolholverkauf untersagt: Es fehlte ein Papier, also darf keine einzige Dose den Besitzer wechseln.

Dem Gouverneur der Provinz Buenos Aires, der auf dem Stadtgebiet nichts zu sagen hat, würde solch Schikaniereifer gefallen: Per Dekret hat er in der Provinz erwirkt, daß die Bars und Diskotheken schon um vier Uhr nachts schließen müssen. Ein Unding in einem Land, in dem sich die Tanzflächen in der Regel erst gegen eins oder zwei füllen.

Für die Technoszene ist das nichts Neues. „Alles was jung und neu ist, ruft Mißtrauen hervor“, beschwert sich Carla Tintoré. Die Skepsis gegenüber der neuen Musik hat schon zu den skurrilsten Gerüchten geführt. In Córdoba kündigte ein Radiosender vor einem Rave an, daß die Veranstalter mit den Eintrittskarten auch gleich die Drogen dazugeben würden. Ein Besucher des Goethe-Raves meint zu wissen: „Natürlich wird auch auf den Raves gedealt, wie an vielen anderen Orten, aber das ist es nicht, was die Polizei stört. Was sie stört, ist, daß sie den Handel nicht kontrolliert.“ Dabei gibt es relativ wenige Drogen, denn in Argentinien gibt es so gut wie kein Ecstasy zu kaufen. Statt dessen zieht eine Haschischdunstwolke über die Tanzfläche.

Es gibt in Buenos Aires keine festen Orte für Raves. Daher trifft sich die Technoszene der Stadt stets woanders. Allerdings ist Argentinien für Technomusik kein Neuland. Es gibt einige Labels, die eigene Sachen produzieren, und „seit ungefähr zehn Jahren legen wir schon Techno- oder House-Musik auf“, so Carla Tintoré.

Was Sascha Kösch, alias DJ „Bleed“, bisher von Südamerikas Technoszene vorgefunden hat, findet er „klein, aber sehr gut, daher wäre es völliger Quatsch, von einem musikalischen Entwicklungsland zu sprechen“. Er hält „die Leute für offener, was Musik betrifft. Sie tanzen auch noch bei ganz anderen Sachen.“ Bleed und Triple R wurden vom Goethe-Institut nach Argentinien, Uruguay und Chile eingeladen. Von Underground-DJs entwickelten sie sich zu offiziellen Kulturbotschaftern für deutsche Technomusik. Aber es geht Kösch „nicht um das spezifisch Deutsche daran“.

Oswaldo Miranda gefällt, was die Deutschen auflegen. „Ihre Musik konstruiert ein Ambiente mit Drum and Base. Oftmals legen argentinische DJs reinen Dancefloor mit einer starken Base Drum auf“, meint er. Sein Freund Mario Colpari meint, er „muß sich erst daran gewöhnen“. Aus seiner Baseballmütze hängt ein langer, pechschwarzer geflochtener Zopf heraus. In jedem Ohr stecken mindestens drei Silberringe. Auch er ist ein regelmäßiger Gast auf den Raves der Stadt. „Mir gefällt es, die Musik zu fühlen, wie sie vom Kopf langsam durch den Körper in die Füße zum Tanzen geht“, beschreibt er seine Begeisterung für harten britischen Techno.

Punkt vier Uhr ist die Veranstaltung, wie angekündigt, zu Ende. Aber nicht ganz. „Die Fiesta geht weiter im Pantheon“, wiederholt der letzte DJ mehrfach ins Mikrophon. Dort geht es in der Regel von frühmorgens bis drei Uhr nachmittags. Ohne Lufthansa- Transparente.