Keynes fährt mit der Achterbahn

Die EU-Regierungschefs beschlossen bei ihrem Beschäftigungsgipfel Maßnahmen für Arbeitslose, verweigerten aber die Bekämpfung der Ursachen  ■ Aus Luxemburg Alois Berger

Ob das Ergebnis des EU-Beschäftigungsgipfels den 18 Millionen Arbeitslosen in der EU etwas bringt, hängt vor allem von der Nervenstärke der Regierungen ab. Immerhin haben sich die 15 Kanzler und Premiers der EU zum erstenmal auf konkrete Beschäftigungsmaßnahmen festgelegt, deren Einhaltung jedes Jahr überprüft wird.

Regierungen, denen ein jährlicher Offenbarungseid nicht zu peinlich ist, können so weitermachen wie bisher. Nach dem Luxemburger Gipfel-Beschluß muß allen Jugendlichen spätestens nach sechs Monaten Arbeitslosigkeit ein „neuer Start“ ermöglicht werden, allen Erwachsenen vor Ablauf eines Jahres. Den Mitgliedsländern bleibt es überlassen, ob der Neustart eine Weiterbildung, Umschulung oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ist.

Bundeskanzler Helmut Kohl und der konservative spanische Premierminister José Maria Aznar, die sich lange gegen diese Festlegung sperrten, sorgten dafür, daß die Regelung erst in fünf Jahren bindend sein wird. Die Forderung des Luxemburger Regierungschefs Jean-Claude Juncker, daß mindestens 25 Prozent aller Arbeitslosen einmal jährlich in Fördermaßnahmen untergebracht werden müssen, handelte Kohl auf 20 Prozent herunter. Dabei liegt die Förderquote in Deutschland bei 23, im EU-Durchschnitt dagegen nur bei 10 Prozent. Doch dem Kohl paßt die ganze Richtung nicht. Denn die Bundesregierung will bei Umschulung und ABM steichen und hat wenig Lust, sich das regelmäßig in aller Öffentlichkeit von der EU vorhalten zu lassen.

Das Dilemma der EU liegt darin, daß fast alle Regierungen mit veralteten Beschäftigungskonzepten hantieren, an die sie selbst nicht mehr glauben. Einige, mit Frankreich an der Spitze, propagieren Beschäftigungsprogramme, betreiben aber gleichzeitig eine nachfragehemmende Sparpolitik: Keynes in der Achterbahn. Andere, unter Meinungsführung der Bundesregierung, schicken Margaret Thatcher heimlich durch den Weichspülgang. Keine andere EU- Regierung redet so ausdauernd über Haushaltssanierung, Deregulierung und Selbstverantwortung der Wirtschaft wie die deutsche. Und keine andere EU-Regierung pumpt soviele Milliarden zur Rettung von Arbeitsplätzen in marode Unternehmen – mehr als Frankreich, Italien und Spanien zusammen. Jede wirkliche gemeinsame Beschäftigungspolitik würde die Widersprüche und die Ineffizienz der alten Konzepte aufdecken. Folgerichtig beharrte Kohl darauf, daß „die Schaffung von Arbeitsplätzen Sache der nationalen Regierungen“ sei.

Dabei wurden auf dem EU- Gipfel durchaus auch die richtigen Ansätze diskutiert. So hat die EU- Kommission ein „beschäftigungsfreundlicheres Steuersystem“ gefordert. Seit 1980 seien die Lohnnebenkosten von 35 auf 42 Prozent gestiegen. Die EU-Kommission schlägt vor, die Steuern auf Energie zu erhöhen und die Steuerschlupflöcher zu schließen. Beides können die EU-Regierungen nur gemeinsam, weil Alleingänge Wettbewerbsnachteile mit sich bringen und deshalb innenpolitisch kaum durchsetzbar sind. Außerdem sollte die Mehrwertsteuer für arbeitsintensive Dienstleistungen gesenkt werden, die nicht dem grenzüberschreitenden Wettbewerb ausgesetzt sind. Darunter fallen bespielsweise alle Reinigungs- und Reparaturarbeiten.

Doch hier setzten promt die üblichen Reflexe ein. Die EU-Regierungen halten sich bei der Steuerpolitik immer noch am Kirchturm fest. Dahinter steht zum einen die Angst der Finanzminister vor dem Machtverlust, zum anderen die Illusion, man könne den Nachbarn durch Steuergeschenke Investoren abjagen. Unterm Strich, hat die EU-Kommission vorgerechnet, zahlen alle drauf und fördern die Arbeitslosigkeit, weil sie die Einnahmeausfälle bei der Lohnsteuer wieder hereinholen müssen. Jedes Mitgliedsland solle die Vorschläge prüfen, schrieben die Regierungschefs in den Literaturteil des Beschäftigungskatalogs – „ohne Verpflichtung“. Nach aller Erfahrung sind die Aussichten schlecht, daß dabei etwas herauskommt.

Doch ohne ökologische Steuerreform wird sich an der Arbeitslosenquote nicht viel ändern. Die in Luxemburg beschlossenen Maßnahmen für Jugend- und Langzeitarbeitslose kurieren an den Symptomen. Die meisten Regierungen haben sich offensichtlich damit abgefunden, daß jeder zehnte ohne Job bleibt, daß 25 Prozent der Jugendlichen keine Aussicht auf einen Beruf haben. Eine regelmäßige Unterbrechung der Arbeitslosigkeit kann die Gefahr vermindern, daß Teile der Gesellschaft sich dauerhaft an den sozialen Rand verabschieden. Vielleicht liegt der Luxemburger Regierungschef Juncker gar nicht so falsch damit, daß die EU-Beschäftigungspolitik ihre eigene Dynamik entwickeln kann. Seit sich die EU-Regierungen für ihr Haushaltsdefizit rechtfertigen müssen, haben sie die Neuverschuldung halbiert. „Warum soll das mit den Arbeitslosenquoten nicht möglich sei?“