Illegale – mitlerweile fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft

Sie spülen die Teller im Nobelrestaurant und biegen das Eisen für den Umbau des Reichstags. Sie hüten die Kinder, bedienen die Nikotinsucht und die männliche Lust – und das alles zu ungewöhnlich niedrigen Preisen. Die Billiglohnländer sind auf zwei Beinen nach Deutschland gekommen und sind längst ein fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft. Ob ganz direkt oder vermittelt über niedrige Preise profitiert fast jeder Deutsche davon. „Doch vor den Menschen“, kritisiert Hanns Thomä- Venske, Ausländerbeauftragter der evangelischen Kirche und Mitorganisator der Berliner Tagung, „macht die Gesellschaft die Augen zu. Niemand will sehen, daß da eine neue Form von Vogelfreiheit existiert.“

Vogelfreiheit ist nicht immer gleichbedeutend mit Armut und Elend. Viele Illegale haben sich im Laufe der Jahre erstaunliche Karrieren zurechtgebastelt mit Monatsverdiensten bis zu 5.000 Mark. Dank eines sozialen Netzes von Landsleuten und deutschen Freunden konnten sich die meisten eine geregelte Existenz auf Abruf aufbauen. Doch schon die kleinste Krise – ein Streit mit dem Hauptmieter, ein Arbeitsunfall – läßt das Kartenhaus zusammenkrachen.

In den Obdachlosenheimen, so berichten Sozialarbeiter, bitten immer mehr Illegale um Aufnahme. Mittlerweile konkurrieren sie mit deutschen Wohnungslosen um einen Heimplatz. Aber darf man sie deshalb in der Kälte stehen lassen? Quasi in letzter Minute kommen die Menschen in die Beratungsstellen, wenn sie medizinische Hilfe brauchen. In vielen Städten haben Flüchtlingsinitiativen und Kirchen zwar ein Netz von Vertrauensärzten aufgebaut, die Patienten ohne Ansehen ihres Aufenthaltstatus' behandeln. Aber spätestens dann, wenn eine Krankenhauseinweisung droht, kann Hilfe existenzgefährdend sein. Flüchtlingshelfer berichten von Kliniken, die die Polizei alarmierten, noch bevor sie erste Hilfe leisteten.

In letzter Zeit werden die Helfer auch gegen einen offenen Betrug um Beistand gebeten: Arbeitgeber lassen die Illegalen wochenlang für sich arbeiten, aber wenn es an die Entlohnung geht, stellen sie sich ahnungslos und wollen ohne einen Sozialversicherungsnachweis nicht zahlen.

Hilfe für Illegale ist ein Balanceakt und teuer: Geld für Rechtsanwälte und medizinische Versorgung, für Unterkünfte oder für die freiwillige Heimfahrt – auch finanziell geht vielen Anlaufstellen der Atem aus, zumal die Unterstützung immer nur unter der Hand erfolgen kann. Sie kann bei keiner staatlichen Stelle beantragt oder abgerechnet werden.

Als einzige gesellschaftliche Institution haben sich bisher die Kirchen offensiv zum Engagement für Migranten ohne Aufenthaltsstatus bekannt. Denkschriften, Broschüren und auch das jüngst verabschiedete „Gemeinsame Wort der Kirchen zu Flucht und Migration“ fordern zu einer menschenwürdigen Behandlung von Illegalen auf, zum Engagement auch im Widerstreit gegen irdische Gesetze. Die Kirchen haben dabei Rückendeckung von höchster Warte. „Die notwendige Vorsicht, die die Behandlung einer so heiklen Frage gebietet, darf nicht zu passiver Zurückhaltung werden“, hatte selbst Papst Johannes Paul II. 1995 gemahnt, „der Status der Ungesetzlichkeit rechfertigt keine Abstriche bei der Würde des Migranten.“

Päpste und Geistliche scheinen noch sakrosankt, anderen Berufsgruppen droht beim Kontakt mit Illegalen die Kriminalisierung. Im sächsischen Zittau riskieren Taxifahrer eine Strafanzeige, wenn sie fremdländisch aussehende Fahrgäste transportieren, ohne ihre Papiere zu überprüfen. Vera Gaserow