■ Vorgespult
: Artaud im Ohr

„Pour en finir avec le jugement de Dieu.“ Antonin Artauds Hörspiel im O-Ton. (20.10 Uhr, Deutschlandfunk)

Es ist der perfekte Überfall. „J'ai appris hier!“ kreischt eine Stimme mit fast unheimlicher Emphase. Mal hexenhaft gekrächzt, mal quäkig wie ein kleines Mädchen ist dieser Ton nicht abzuschütteln. Er krallt sich ins Ohr oder hüpft wie ein Kobold durchs Zimmer. Jedes Wort aus diesem Mund wird gedehnt, geschrien, verfremdet bis es wie Musik klingt – auf gleicher Ebene mit den Percussions, die später szenische Einschübe begleiten. Dann wieder dieser androgyne Sound: „J'ai appris hier...“, und diesmal drehe ich verwirrt den Kopf zur linken Box, aus der eine wunderbar brüchige Stimme (Christian Brückner) den Text synchronisiert. „Ich habe gestern gehört“, – ja, was? Daß die Amerikaner ihren Schuljungs Sperma abzapfen und tiefgekühlt beiseite legen – zwecks späterer Verwendung als Kanonenfutter. Äh, wie?!

Doch keine Zeit für Fragen, denn weiter hangelt sich das Sprachtheater von Antonin Artaud. Rasant, dringlich, überraschend, maßlos – aber nie maniriert macht er auf seine Weise Schluß mit dem Gottesgericht. Rechnet ab – sofern man diese wilde Textperformance überhaupt zusammenfassen kann – mit bürgerlicher Falschheit, religiöser Verblendung und Expansionskriegsführung. Merkwürdig, wie klar (und witzig) dieser Wortschwall trotz vieler Logiksprünge klingt. Schön auch, daß dieser Mythos der Moderne so lebendig wirkt, wenn ihm die Verehrung seiner Jünger mal nicht den Weg verstellt. Die Tonkonserve von 1947 ist das letzte Dokument des Avantgardisten, der uns zusammen mit Maria Casarés, Roger Blin und Paule Thevenin hier auch sein spätes Manifest zuspielt. Daß Artauds rhythmisches Textgewirbel trotz neun Jahren Irrenanstalt, Elektroschocks und fast lebenslanger Drogenkarriere nicht als Delirium abgewunken werden kann, spürte selbst der Generaldirektor von Radiodiffusion France. Mit dem Aufschrei „Blasphemie“ flog die Produktion aus dem Programm. Es mag Artaud nicht getröstet haben, daß das Band erhalten blieb – für uns ist dieses Soundporträt ein glücklicher Fund. Gaby Hartel