■ Peter Stein und Sehnsucht nach großem, repräsentativem Theater: Kunst im Konjunktiv
Die deutsche Hochkultur ist in Bewegung. Natürlich nicht ruckartig, aber ein Sehnen und Dehnen ist da schon. Man wünscht sich was. Was Höheres. Was Repräsentatives. Ein Großschriftsteller ist gut, ein Nationaltheater wäre noch besser. Denn, wie es der Theaterregisseur Peter Stein ausdrückt: „Man braucht ein Oben, eine Mitte und ein Unten, Himmel, Erde und Hölle.“ Peter Stein sagt das im Zusammenhang des Bühnenaufbaus seines seit Jahren geplanten „Faust“-Projekts. Aber die gegenüber der Berliner Zeitung geäußerten Worte umfassen viel mehr.
Denn Stein plant nicht nur eine repräsentative Inszenierung des größten deutschen Dramas in der deutschen Hauptstadt. Sondern mit der ungekürzten Fassung von „Faust I und II“, eine Veranstaltung, die sich nach zweijährigen Proben über sieben Abende erstrecken und 20 Millionen Mark kosten wird, will er auch die Repräsentativität selbst wieder ins Recht setzen: „Die Funktion der Kunst als vorausstürmende Avantgarde ist ganz eindeutig nicht die Funktion der Kunst zum gegenwärtigen Zeitpunkt.“
Damit spricht er sicher vielen Hochkulturfunktionären aus dem Herzen, und trotzdem wird es mit seinem „Faust“ so schnell nichts werden. Denn entweder sind diese Funktionäre Beamte, die zwar Repräsentation wollen, aber nicht verstehen, daß das etwas kostet (wie der Berliner Kultursenator Radunski), oder sie kommen, wie Stein selbst, ursprünglich aus dem linksliberalen Milieu und trauen den Herrschenden nicht einmal dann, wenn sie es selbst sind. Ein Konflikt, der sich dadurch lösen läßt, daß in jeder Möglichkeit die Möglichkeit des Scheiterns ausgelotet wird. So lehnte Stein 1993 das Berliner Schiller Theater als Spielort für den „Faust“ ab, so verhöhnt er jetzt die Expo 2000 – die sich ernsthaft erbietet – als Spektakel für „Wurstschnappen“. Mal nennt Stein sein Projekt einen „Fisch, der schon stinkt“, dann heißt es wieder: „,Faust‘ ist keine verderbliche Ware.“
Das permanente Reden über das Projekt tritt allmählich an die Stelle des Werkes – und das paßt tatsächlich gut nach Berlin. Etwas Repräsentatives muß es sein, aber am Ende will keiner damit gesehen werden. Als Träger der Idee eines nicht realisierbaren „Faust“-Projekts wird der 60jährige Peter Stein auf diese Weise selbst zum repräsentativen Kunstwerk. In der steten Rotzigkeit aber, mit der er sich öffentlich äußert und sich etwa über die Konformität des Außenseitertums lustig macht, liegt doch wieder eine Aggressivität, von der sich seine Theaterarbeit schon lange verabschiedet hat. Petra Kohse
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