piwik no script img

Zwei Gesichter von Neukölln

■ Zwei typische "Gastarbeiterkinder" sehen als Geschäftsleute ihren Berliner Bezirk und die Rolle ihrer deutschen und ausländischen Mitbürger: Multikulti versus ethnischer Segregation

Im Berliner Stadtbezirk Neukölln leben 330.000 Einwohner, davon sind 60.000 nichtdeutscher Herkunft; das entspricht einem Ausländeranteil von 18 Prozent. Paola M. und Kazim T. gehören dazu. Beide werfen hier ihren — sehr unterschiedlichen — Blick auf diesen Stadtteil. Die beiden kennen sich nicht, dabei wohnen und arbeiten sie nur ein paar Straßen voneinander entfernt. Die Italienerin Paola M. betreibt eine Secondhand- Boutique, der Türke Kazim T. eine Bäckerei. Beide sind typische „Gastarbeiterkinder“.

Kazim T.: „Neukölln wirkt manchmal kalt, fast so, wie Ostberlin vor dem Fall der Mauer. Und auch die Fremdenfeindlichkeit stört mich. Dabei sind es doch die Ausländer, die hier Leben reinbringen. Der Einzelhandel, die Gastronomie, das haben doch alles die Ausländer aufgebaut, sonst wäre es hier ganz tot. Die deutschen Einzelhändler haben doch alle aufgegeben — nicht weil die Türken kamen, sondern weil die Leute in den Supermärkten einkaufen. Sicher, der Stadtteil würde sich weiter verändern, aber wer sagt denn, daß das ein Nachteil wäre?

Die Deutschen jammern, sie fühlen sich nicht mehr zuhause, weil hier zu viele türkische, italienische oder arabische Läden sind, aber dafür sind diese Geschäfte erstaunlich gut von Deutschen besucht. Da wird dann vor einer Ghettobildung gewarnt, aber die Realität des sogenannten Ghettos sieht doch ganz anders aus. Die türkischen Familien sind oft viel intakter als die deutschen. Das gibt dem Stadtteil doch auch Stabilität.

Ich kenne diese Angst vor dem Ghetto auch aus Kreuzberg, wo ich früher lebte. Über dem Geschäft meines Vaters wohnte eine deutsche Familie, die sich ständig über die Ausländer beschwert hat — aber die eine Tochter hatte ein Kind mit einem Türken, die andere eines mit einem Schwarzen und ich war der beste Freund für sie. Ich kann verstehen, daß man sich fremd fühlt, wenn rund um einen herum nur türkisch gesprochen wird. Das geht mir selber so, wenn jemand kurdisch oder arabisch spricht. Da sag' ich auch: Red' gefälligst deutsch, aber mit welchem Recht verlange ich das eigentlich?

Unter meinen Landsleuten gibt es hier zwei Sorten: Die einen, die absolut eingedeutscht sind und genauso fließend und falsch deutsch sprechen wie die Neuköllner. Die sind inzwischen sehr etabliert und können es sich auch leisten, die Deutschen von oben herab zu behandeln. Und es gibt die anderen, die sich völlig zurückgezogen haben. Die gehen nur von Haus zu Haus, machen ihre Besuche bei den Landsleuten und meiden jeden Kontakt mit den Deutschen.

Aber ich glaube diese Abschottung, diese Isolation ist auch nicht mehr ewig durchzuhalten. Den Kindern kann man nicht nehmen, daß sie das, was sie als dritte Generation in der Schule oder auf der Straße lernen, in ihren Köpfen mit nach Hause tragen. Ich sehe das bei meiner eigenen Familie, da gibt es bei den Jungen den Widerstreit zwischen zwei Welten, aber es ist eben nicht mehr eine Welt.

In den letzten fünf, sechs Jahren hat es eine Stagnation im Integrationsprozeß gegeben. Aber mitlerweile geht es wieder voran. Bis vor fünf, sechs Jahren haben viele nur an Rückkehr gedacht. Gerade vor zwei Wochen habe ich mit einer über 70jährigen Kundin gesprochen. Deren Mann wurde jetzt auf einem deutschen Friedhof beerdigt. Das sind deutliche Zeichen, daß auch im Kopf der Leute angekommen ist: Wir bleiben hier.

Wenn ich Kinder hätte, hätte ich kein Problem damit, daß hier in den Schulklassen manchmal 80, 90 Prozent ausländische Kinder sind, — nicht weil auch mein Kind auch ein nichtdeutsches wäre, sondern, weil das ein Stück Realität ist. Man muß dann mit den Kindern mehr arbeiten und sich mehr Zeit für sie nehmen, aber ich kann damit umgehen. Ich wünschte, die Deutschen würden ihre Kinder auch hier in den Schulen behalten und hierbleiben, und wir könnten gemeinsam um diesen Stadtteil kämpfen.“

Paola M.: „In einem Sinne fühle ich mich wohl hier. Ich habe eine schöne, billige Wohnung und nette Leute kennengelernt. Aber es hat sich vieles verändert in den letzten zwei Jahren. Vor allem junge Leute sind weggezogen, und die Studenten waren es, die diesen Stadtteil belebt haben. Was mich vor allem stört, ist, daß keine Multikultur mehr existiert. Es gibt nur noch zwei Kulturen: die türkisch-arabische und die deutsche. Die einen respektieren die anderen nicht, beide bekriegen sich und ich als Italienerin stehe dazwischen.

Die Türken meinen, ich wäre Deutsche, und dadurch habe ich viel Ärger hinter mir. Eine zeitlang herrschte richtig Krieg mit den Jungs der türkischen Familie von gegenüber, die dachten ich wäre die böse, reiche Deutsche. Seitdem mein Mann mit denen geredet hat, hat sich die Lage beruhigt. Bei den älteren Deutschen spüre ich genau diesen Blick: Du gehörst zu den anderen. Zumindest die älteren Deutschen haben das Gefühl, man nimmt ihnen etwas weg. Als ob wir Ausländer daran schuld sind, daß sie weniger Rente kriegen. Man merkt ganz deutlich, daß die Deutschen hier immer weniger werden. Gut die Hälfte unserer Kunden, die wir in der Kartei haben, wohnt nicht mehr in der Gegend. Ich frage mich schon, ob ich mich noch wohl fühle, wenn das hier Klein-Istanbul wird. Ich habe nichts gegen Türken, aber ich habe das Gefühl, ich passe nicht mehr rein. Was mir Angst macht, sind die Ausländer, die hierherkommen und dem Sozialsystem zur Last fallen. Vielleicht ist auch das ein Punkt, weshalb die Deutschen die Ausländer hassen. Da ist das Gefühl: hier geht alles bergab und ihr könnt zurück in die Heimat gehen, wenn alle Stricke reißen. Ich finde, diese Ängste sind nicht ganz unbegründet. Das Problem ist nur, je schlimmer es uns in Deutschland geht, desto mehr sind wir Ausländer dann die Sündenböcke.

Von anderen höre ich die Klagen, daß die türkischen Kinder noch nachts die Treppen hoch und runter rennen, und die Jugendlichen bis spät abends im Hof mit dem Mofa rumfahren. Dieses freie Leben haben wir in Italien auch. Aber man muß sich schon etwas einschränken und gucken, wo die Grenzen sind. Und die sind vielen nicht klar. Da fehlt der Respekt gegenüber den anderen Mietern.

Ich weiß nicht, wo das Problem seinen Anfang hatte. Wer etwas ändern könnte, ist die junge Generation. Aber die hat auch bei den Türken etwas anderes im Kopf. Da ist dieser blöder Grundgedanke, den meine Eltern mir damals, als wir in der Schweiz lebten, auch in den Kopf gesetzt haben: wir werden irgendwann zurückgehen. Meine Eltern haben mich auch von der Schweizer Gesellschaft ferngehalten. Die haben nie gefragt, wie es in der Schule war. Die hatten selber keine Schule besucht und haben nicht gesehen wie das ego des eigenen Kindes wächst, wenn man ihnen etwas vermittelt oder ermöglicht, was man sich selbst nicht leisten konnte.

Ich kann mir vorstellen, daß die Türken auf dem Stand sind wie meine Eltern vor dreißig Jahren. Natürlich gibt es auch türkische Leute, die ganz anders sind. Die sich integriert haben und Wert darauf legen, daß die Kinder eine gute Ausbildung haben. Denn das ist doch die Bahn, in einem neuen Land zu bestehen. Sich ein Klein- Istanbul zu schaffen und untereinander zu bleiben, ist bequem. Aber was machen die anderen? Die sind dann fehl am Platz im eigenen Land.“ Aufgezeichnet und zusammen-

gestellt von Vera Gaserow

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen