Sex, Lügen, Video

■ Spanische Verschwörungstheorien: Wer hat nur den Chefredakteur in Strapse gesteckt?

„Ich bin Opfer einer Verschwörung“, tobt Pedro J. Ramirez. Jahrelang ließ sich der Herausgeber der spanischen Tageszeitung El Mundo als Kämpfer gegen Korruption und Verrohung feiern. Jetzt kratzt ein Video an diesem Image. Das Band kursiert seit Wochen in unzähligen Kopien. Der Enthüllungsjournalist ist darauf in roten Strapsen zu bewundern, wie er eine Prostituierte auffordert, ihn zu demütigen.

Das halbe Land versinkt in Schadenfreude. Hatte nicht die El Mundo bei ihren Enthüllungen stets die Meinung vertreten, „öffentliche Personen haben kein Privatleben“? Hatte sich das Blatt seinen Namen nicht auch mit wilden Räuberpistolen gemacht, die stets neben den berechtigten Korruptionsvorwürfen standen, welche den Sozialisten Felipe González zu Fall und den Konservativen José Maria Aznar an die Macht brachten? Ein Aufruf des Regierungssprechers an die Journalisten, sie sollten sich solidarisch hinter Ramirez stellen, verhallte ungehört.

Ramirez trat die Flucht nach vorn an: „Die GAL agiert wieder“, titelt El Mundo seit Tagen und versucht nachzuweisen, daß die Antiterroreinheit GAL hinter dem Video steckt – die Truppe, der in den achtziger Jahren 28 Menschen aus dem ETA-Umfeld zum Opfer fielen. Einst deckte Ramirez die GAL-Verbrechen mit auf, nun wolle die Truppe sich rächen, so die Behauptung.

Das klingt nach einer verzweifelten Räuberpistole, fand nun aber oberstes Gehör: Javier Gómez de Liaño, Ermittler am obersten Strafgericht, eröffnete Anfang letzter Woche ein Verfahren wegen Terrorismus. Gómez de Liaño ist ein persönlicher Freund von Ramirez, der mit seiner Anzeige geduldig gewartet hatte, bis dieser Bereitschaftsdienst hatte.

Die Kronzeugin des Verfahrens ist ausgerechnet Rapu Muebake – die Prostituierte, die das Kamerateam im Schrank untergebracht hatte. Nach einer Woche U-Haft, und Eröffnung eines Verfahrens wegen Verstoßes gegen das Persönlichkeitsrecht, bei dem ihr bis zu acht Jahre Gefängnisstrafe drohen, ist sie umgeschwenkt und bestätigt all das, was El Mundo längst veröffentlicht hat. Unter den Anstiftern, die sie nennt, sind auch ehemalige hohe Mitarbeiter von Felipe González.

Einen ersten Fahndungserfolg kann der Richter schon vorweisen: Bei Emilio Rodriguez Menéndez, dem Herausgeber der Tageszeitung Ya, der für die Prostituierte in Leitartikeln eine Lanze brach, sollen alle Fäden der Verschwörung zusammenlaufen. Das Büro des vermeintlichen Topterroristen im Journalistengewand wurde – erfolglos – durchsucht, sein Paß einbehalten. Der studierte Anwalt, der sich mit dem Kauf der bankrotten Ya erst unlängst ins Zeitungsgeschäft wagte, muß sich jeden Morgen bei der Polizei melden: „Fluchtgefahr“. Eine Pressekonferenz nach der Durchsuchung wurde von der Gerichtspolizei unterbrochen.

Für Spaniens größte Tageszeitung El Pais ist die Sache klar: „Die Politisierung eines privaten Delikts, um den Ruf eines Zeitungsherausgebers zu retten, der zu den engsten Freunden von José Maria Aznar gehört“, nennt das Blatt die Affäre. Schließlich hatte der Regierungschef große Pläne mit seinem Lieblingsjournalisten Ramirez: Er sollte mit einem Chefposten beim halbstaatlichen Digital- Fernsehen Via Digital bedacht werden.

El Pais wittert denn auch hinter dem Verfahren des Richters die Sorge der Regierung. Den Richter kennt man bei El Pais nur zu gut: Schließlich leitete Gómez de Liaño unlängst auch ein Verfahren gegen den Verlagskonzern Prisa, dem das sozialistennahe Blatt gehört. Auch hinter diesem Verfahren wurde schon die Regierung vermutet. Gómez de Liaño mußte das Verfahren, bei dem es um den Wettlauf ums Digital-TV zwischen Prisa und Via Digital ging, auf Druck des Obersten Gerichts schließlich einstellen (taz vom 5.11.). Das Konstrukt des Richters hatte sich als haltlos erwiesen. Dessen Urheber: Ein Staatssekretär Aznars. Und die publizistische Unterstützung kam von El Mundo.Reiner Wandler