■ Kunst in der Kirche jetzt: Bei zu großer Betroffenheit wird alles wieder abgebaut
: Christus à la Christo

Ingolstadt (taz) – Mal ganz ehrlich: Wann waren Sie das letzte Mal in einer Kirche? Und wann hatten Sie dort das letzte Mal die Gelegenheit, sich eine Kunstausstellung ansehen zu können?

Und – haben Sie dabei jemals erlebt, daß Sie zu Ihrem Kunstgenuß auch noch einen freundlichen, um Verständnis werbenden Text vorfanden, in dem versucht wurde, Ausstellung und Intention der Werke zu erklären?

Gibt's nicht, meinen Sie – dann lesen Sie doch mal folgende Auszüge aus einem derzeit ausliegenden Begleitschreiben zu einer im Rahmen der 18. ökumenischen Friedensdekade initiierten Kirchenausstellung im oberbayerischen Ingolstadt:

„Liebe(r) Gottesdienstbesucher(in)!“ ist da zu lesen. „Diesmal haben wir nicht einen Künstler bzw. sein Werk ausgesucht, sondern es wurde mit Hilfe der Evang.-Lutherischen Landeskirche Bayern ein Wettbewerb zum Thema ,Kain pardon Abel?‘ ausgeschrieben. Eine überregionale Jury wählte die Werke aus und bestimmte die Preisträger.“

Genau um diese Preisträger geht es, genauer gesagt um den Ingolstädter Künstler Thomas Neumaier, der für seine Installation „Corpus“ den mit 3.000 Mark dotierten zweiten Preis erhielt. Neumaier hat diesen seinen „Corpus“, eine annähernd lebensgroße, holzgeschnitzte Christusfigur aus dem vergangenen Jahrhundert, in durchsichtige Plastikfolie gewickelt und mitten auf dem Altar der evangelisch-lutherischen Thomas- Kirche abgelegt. Einzig die blutende Wunde ragt aus der Verpackung heraus.

Eingerahmt wird dieser hölzerne Leichnam Christi – im übrigen eine Leihgabe aus dem Ingolstädter Stadtmuseum – auf beiden Seiten durch zwei Infusionsflaschen. Am Fuße des Altars ergänzen verschiedene Wundkästen die Installation.

Zu dieser in der Tat ungewöhnlichen Kunstpräsentation konnte sich der Kirchenvorstand nach zähen internen Diskussionen erst mehrheitlich entschließen, nachdem die Kunstbeauftragte aus dem Vorstand zugesagt hatte, ihre Gemeindemitglieder „mit dem ungewohnten Anblick nicht allein zu lassen“.

Dr. Marianne Maubach, als Kunstbeauftragte ihrer Gemeinde verantwortlich für das Schreiben an die Gottesdienstbesucher, weiß sehr wohl, daß manch ein Kirchgänger „schockiert“ sein könnte von der auf dem Altar liegenden, verpackten Leiche. Doch werbend für Kunst und Gunst erinnert Maubach in ihrem Begleittext die Gottesdienstbesucher, „daß unsere Gesellschaft Wunden, Leiden und Tod auch gern verpackt, verdeckt hält“.

„Denken Sie an eigene Erfahrungen mit Verletzung und Krankheit, wenn Sie die einzelnen Wunden in den Wundkästen betrachten“, rät die Kunstbeauftragte den Betrachtern.

„Wie jedes Kunstwerk lebt es davon, daß Sie es ansehen und zulassen, daß es in Ihrem Kopf Assoziationen weckt und vielleicht in Ihrer Seele etwas zum Schwingen bringt.“

Damit das mit dem Schwingen wenigstens ansatzweise möglich wird, soll der „Corpus“ bis kurz vor Weihnachten auf dem Altar liegen bleiben. Falls Teilnehmer einer Taufe oder Totenmesse die permanente Aufbahrung nicht ertragen sollten, so versichert Pfarrer und Kunstfreund Wolfgang Dörrich, wird die Installation „selbstverständlich“ vorübergehend abgebaut. Ansonsten bleibt für die Gottesdienstbesucher alles beim alten: Gepredigt wird wie immer von der nahe stehenden Kanzel aus, für Gebete und Segen tritt Pfarrer Dörrich auch weiterhin direkt vor den Altar. Manuela Knipp-Dengler