Schreibtischtäter

Frühschöppner Werner Höfer, der so spät über seine Nazivergangenheit stolperte, starb im Alter von 84 Jahren  ■ Von Manfred Otzelberger

Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte Werner Höfer noch einmal launig das Weinglas gehoben, den verehrten Kollegen aus dem Ausland zugeprostet und sein Leben ausgehaucht. Mitten in der Sendung, die er das „Kind meiner Lenden“ nannte: „Der Internationale Frühschoppen mit sechs Journalisten aus fünf Ländern“, der 35 Jahre lang jeden Sonntagmorgen in die deutschen Wohnstuben kam: Erst im Radio, dann im Fernsehen. Das Schicksal hat einem der letzten Medien-Dinosaurier ein anderes Drehbuch geschrieben: Dienstag nacht starb der Fernsehjournalist außer Diensten in den Armen seiner zweiten Frau Petra, die der Witwer noch 1993 geheiratet hatte, in seinem Kölner Haus.

84 Jahre ist er alt geworden. Seinen Frühschoppen hat er um zehn Jahre überlebt, verwunden hat er es nie, daß er vom Bildschirm gedrängt wurde, indem ihm der WDR „den Stuhl vor die Tür stellte“. Höfer hatte die Lebensfreude verlassen, nachdem er so spät über seine Nazivergangenheit gestürzt war. Abgemagert, fast blind war das WDR-Fossil, warum er seine liebenswert antiquierte Sendung aufgeben mußte, hat er wohl nie begriffen.

Ausgerechnet vom Spiegel abgeschossen zu werden, dem Blatt seines Freundes Rudolf Augstein, das schmerzte. Nur das publizistische Pfund des „Sturmgeschützes der Demokratie“ hatte die rechte Wucht, um den alten Herrn, der mit gußeisernem Gewissen an seinem Sessel klebte, kippen zu lassen. Viele der Vorwürfe gegen Höfer waren seit Jahrzehnten bekannt, kamen aber aus der falschen politischen Richtung: Ausgerechnet die rechtsradikale Presse und DDR-Propagandisten hieben auf ihn ein. Das immunisierte Höfer, der die Affären als Rufmordkampagnen politischer Wirrköpfe einfach aussaß und genug einflußreiche Freunde hatte, die schützend ihre Hand über ihn hielten. Auch die Spiegel-Enthüllungsgeschichte war hausintern umstritten, nur der Hartnäckigkeit der Edelfeder Harald Wieser war es zu verdanken, daß Höfers Karriere seziert wurde. Da wurde nicht das Bild des Grandseigneurs gezeigt, der Höfer auch war, des journalistischen Ehrenmannes, der die Liberalität im WDR durchsetzte und sich vor unliebsame Kollegen stellte, nein – Wieser skizzierte eine deutsche Charaktermaske, die unfähig war zu trauern. Es waren nicht so sehr die vielen Propagandaartikel, die der Spiegel-Mann Höfer zur Last legte, eher seine hartnäckige Verleugnung nach dem Krieg.

Ein „ehrgeiziges Kerlchen“ sei er gewesen, „im Grunde der unpolitische Intellektuelle“. Allein die Legende seines Eintrittes in die NSDAP im Jahr 1933 sagt viel über ihn: „Da hat mir in Köln ein alter Herr einer Studentenverbindung einen Zettel vorgelegt, den ich unterschrieben habe. Das sei nicht wichtig, nur irgendein Verein. Ein paar Wochen später steht ein Mensch in Uniform vor der Tür, sagt, ich sei Mitglied der NSDAP.“

Das ist rührend unglaubwürdig, wenn man sich Höfers Beflissenheit ansieht, mit der er sich diversen Berliner Zeitungen andient, um ein Hetzfeuilleton nach dem anderen zu schreiben. Am 20. September 1943 erschien Höfers Hinrichtungshymne auf den Fall des Klavierspielers Karlrobert Kreiten, der wegen einiger Hitler-kritischer Äußerungen gehängt wird. O-Ton Höfer (er behauptet später, es sei ihm hineinredigiert worden): „Es dürfte heute niemand Verständnis dafür haben, wenn einem Künstler, der fehlte, eher verziehen wird als dem letzten gestrauchelten Volksgenossen. Denn gerade Prominenz verpflichtet.“

Entschuldigt hat sich Höfer bei Kreitens Eltern nie. Der Spiegel nannte ihn einen „Schreibtischtäter“, und Höfer prozessierte gegen den bösen Journalisten. Höfer war einer der vielen Trompeter im NS- Staat, ohne den der Terror nicht hätte funktionieren können.

Nach dem Krieg war der wendige Höfer sofort auf der anderen Seite, entwickelte sich zum Musterdemokrat. Und es gab viele ehrenwerte Honoratioren wie Alfred Grosser und Sebastian Haffner, die sich vor ihn stellten und argumentierten, er habe durch seine Leistungen beim WDR seine Nazivergangenheit mehr als gutgemacht. Aber genau mit seiner Rolle in diesen dunklen Jahren hat sich Höfer nie richtig, das heißt auch schmerzlich, auseinandergesetzt. Hätte Höfer vor 1987 offen über seine Feigheit gesprochen, daß er es beispielsweise vorzog, lieber als angepaßter Propagandist seine Familie zu retten, als ein Held zu werden: Ganze Journalistengenerationen hätten von seiner Offenheit lernen können. Aber er blieb bei so intellektuell erbärmlichen Ausweichmanövern, er habe in seinen Artikeln nicht das Wort „Führer“ oder „Jude“ benutzt. Aber was schrieb Höfer 1944 im Berliner 12 Uhr Blatt: „Keine Aussage ist peinlicher als die: Das habe ich vergessen.“

Einen Gefallen wird der WDR dem Toten nicht tun: In seinem Abschiedsbrief an den WDR hatte Höfer 1987 den WDR ersucht, „sich und mir jede öffentliche Bekundung bei meinem Ableben zu ersparen“. Man darf sicher sei, daß der WDR einen Kranz an Höfers Grab legen wird. Harald Wieser, der journalistische Denkmalstürzer und Königsmörder, kommentiert Höfers Tod mit diesem Satz: „Merkwürdig, ich habe das Gefühl, ein Nachbar sei gestorben.“