SPD-Angebot zu giftig

Plötzlich säuseln alle von Einigung bei Steuer- und Rentenreform. Doch Schäuble stört sich an Lafontaines Manieren  ■ Aus Bonn Markus Franz

Vier Stunden lang hatten die Schüler der 13. Klasse des Gymnasiums Ottweil im Saarland mit ihrem Urteil über die gestrige Bundestagsdebatte uneingeschränkt recht. „Ist doch lustig, wie die sich fertigmachen“, „Kasperletheater“, „bringt doch alles überhaupt nichts“. Aber dann kam der Auftritt des giftigen Oskar Lafontaine, nach dem kurzzeitig alles anders aussah. Die insgesamt viertägige Haushaltswoche im Bundestag war am Dienstag durch die finanz- und haushaltspolitischen Sprecher der Fraktionen, gespickt mit vielen Zahlen und starken Aggressionen, eröffnet worden.

Die zentrale Äußerung fast aller Redner gestern war, den Einigungswillen mit dem politischen Gegner über Steuerreform und die Höhe des Rentenbeitrages zu betonen. Scharping bot an, „die Erosion der sozialen Grundlage zu stoppen“. Joschka Fischer war bereit, „eine Steuerreform zu verabschieden. Es liegt nur an der Bundesregierung.“ Auch FDP-Chef Wolfgang Gerhardt zeigte sich offen, „ohne Vorbedingungen in die Verhandlungen zu gehen“. Bundeskanzler Helmut Kohl sagte zu Lafontaine, „lassen Sie uns überlegen, ob wir nicht doch noch zu einem Gespräch kommen können, ohne persönliche Eitelkeiten“. Und nach Zwischenrufen: „Natürlich kostet das Überwindung.“

Hatte Joschka Fischer also recht mit seiner Behauptung: „In der Sache sind wir weitgehend einer Meinung“? Kohl jedenfalls, der in voller Übereinstimmung mit seiner Bevölkerung zugab, die Debatte um die Rentenreform „überhaupt nicht zu verstehen“, unterstützte Fischer: „Da hat der Herr Fischer recht, es gibt 'ne Menge Gemeinsamkeiten. Wir verlieren Jahre, wenn erst der nächste Bundestag die erforderlichen Gesetze verabschieden kann.“

Dann der Auftritt von SPD- Chef Oskar Lafontaine. Bisher hatte die Versammlung noch bei jedem Redner außer bei FDP- Chef Wolfgang Gerhardt herzhaft gelacht – über Elchtests, über Gerhard Schröder, der vergrämt über den Vorschlag der Luxussteuer mit Zigarre in einem Rolls-Royce sitze, und über einen Spruch Joschka Fischers, der nach der Rede des CSU-Landesgruppenchefs sagte: „Sie scheinen die Debatte über die Niveauabsenkung mißverstanden zu haben.“

Aber nun stand da auf einmal ein kleiner Mann, mit Zornesfalten im Gesicht. „Ich hatte erwartet“, sagte Lafontaine an die Regierung gerichtet, „daß heute ein konkretes Angebot von Ihnen kommt.“ Was will die Regierung denn, schnaubte Oskar. Die FDP sei gegen eine Erhöhung der Mineralölsteuer, die CSU blocke die Rentenstrukturreform ab.

Auch das alles nur Gerede? Doch Lafontaine macht Vorschläge, die der Koalition eigentlich gefallen müßten: Eingangssteuersatz von 22 Prozent, Spitzensteuersatz von 49 Prozent – Hauptsache, die Steuerreform ist aufkommensneutral. Sein Entgegenkommen erklärte er so: „Damit will ich Ihnen eine Brücke bauen, damit sie Ihr Gesicht wahren können.“ Zur Senkung des Rentenbeitrags schlug er vor: „Erhöhung der Mehrwertsteuer um ein Prozent. Und über die Rentenstrukturreform entscheidet der Wähler.“ Kein Wort mehr von der Erhöhung der Mineralölsteuer, die die SPD bisher untrennbar mit der Mehrwertsteuer verband.

Nächster Auftritt von Wolfgang Schäuble. Würde der CDU/CSU- Fraktionschef das Angebot etwa annehmen? „Es ist viel davon gesprochen worden, daß man sich verständigen könnte“, sagte er. „Das ist aber derart überheblich und unfreundlich geschehen, daß man nicht den Eindruck hat, es sei Ihnen wirklich an einer Einigung gelegen.“ In einer öffentlichen Debatte werde man ohnehin keine Einigung erreichen. Später sagte Schäuble dann noch was: „Es liegt uns an einer Einigung.“