Nachgefragt
: Druck auf Arbeitslose

■ Arbeitslosenberater Martin Lühr zu neuen Anforderungen der Arbeitsämter

Bremer Arbeitslose wundern sich. „Sie müssen sich selbst aktiv um die Beendigung ihrer Beschäftigungslosigkeit bemühen.“Denn, so erklärt es ihnen ein Informationsblatt des Arbeitsamtes, das ihnen derzeit auf den Tisch flattert: „Sie beziehen laufend von uns Leistungen.“Tatsächlich ändert sich zum 1.1.98 die „Arbeitsförderung“. Welche Konsequenzen das für Arbeitslose hat, erklärt Martin Lühr, Jurist bei der Arbeitsgemeinschaft arbeitsloser BürgerInnen (AGAB e.v.).

taz: Was ändert sich ab Januar für Arbeitslose?

Martin Lühr, AGAB-Jurist: Arbeitslose müssen sich jetzt selbst aktiv um Arbeit bemühen. Mutterschutz, Bezug von Erziehungsgeld, Fortbildung oder Umschulung führen nicht mehr zu einem Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Bedürftigkeitsprüfung bei der Arbeitslosenhilfe wird verschärft, Abfindungen werden nach einer Frist auf das Arbeitslosengeld angerechnet. Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für ältere ArbeitnehmerInnen wird verkürzt.

Was heißt, Arbeitslose müssen sich selbst Arbeit suchen?

Vor der Gesetzesänderung war es Aufgabe des Arbeitsamtes, Arbeit zu vermitteln. Wir lehnen diese Veränderung strikt ab, weil sie unterstellt, Arbeitslose hätten sich vorher nicht um Arbeit bemüht.

Wie oft und in welchem Rhythmus müssen sich Arbeitslose bewerben?

Das ist nicht geklärt. Die Bundesanstalt für Arbeit muß das festlegen. Für die BezieherInnen von Arbeitslosenhilfe wird das Bundesarbeitsministerium eine Verordnung erlassen. Es wird also zwei Richtlinen geben.

Das ist verwirrend.

Wichtig ist dabei das Prinzip der Zumutbarkeit von Arbeit. Ich bin zum Beispiel Jurist. Ich kann aber nicht sagen, es gibt keine freien Juristenstellen. Das Arbeitsamt interessiert nicht, ob ich in meinem Beruf arbeiten kann. Es fragt nur, ob die Bezahlung angemessen ist.

Was heißt angemessen?

In den ersten drei Monaten der Arbeitslosigkeit sind 20 Prozent vom vorherigen Gehalt als Einbuße zumutbar. Die zweiten drei Monaten akzeptieren 30 Prozent Gehaltseinbuße. Ein Tischler der 4.200 Mark brutto verdient hat, muß in den ersten drei Monaten auf gut 800 Mark verzichten. Danach auf cirka 1.000 Mark. Ab dem siebten Monat gilt eine Arbeit als zumutbar, wenn sie netto mehr bringt als das Arbeitslosengeld.

Als Gärtner kann ich mich aber nicht auf eine Tischlerstelle bewerben?

Wenn Sie als Gärtner nicht tischlern können, ist das Ihr Problem. Sie müssen jede Arbeit annehmen, sonst werden die Leistungen des Arbeitsamtes eingestellt. Grob gesagt gilt nur der als arbeitslos, der sich um Arbeit bemüht.

Wie weise ich denn nach, daß ich mich um Arbeit bemüht habe und wie oft muß ich das tun?

Das ist im Gesetz nicht definiert. Genau das ist für Arbeitslose so verwirrend und das klärt auch das Bremer Merkblatt nicht.

Kann diese Lücke zu Behördenwillkür führen?

Das ist das Kernproblem, was die Bundesanstalt für Arbeit zu lösen hat. Was als Rechtsfolge eintritt, wenn jemand als unzureichend bewerbungsfreudig entlarvt wird, das ist zur Zeit nicht geklärt.

Fragen: T. Schumacher