Besuch bei einer älteren Dame

Sie braucht die Stadt, und die Stadt braucht sie: Ein Porträt von Romy Haag, die heute auf 20 Jahre in Berlin zurückschaut – und was wechselseitige Abhängigkeiten mit Erfolg, Karriere und Berühmtsein zu tun haben  ■ Von Jan Feddersen

Die „Scheinwerfergeborene“, wie es in diesem Blatt einmal zu lesen stand, sieht aus, als käme sie gerade aus der Kosmetik. Wie es heißt, sieht sie immer so aus, auch wenn sie daheim Besuch empfängt: Romy Haag. Immer adrett. Temperaturen würden ihr nie etwas ausmachen. Hitze oder Eis: „Egal.“ So kommt sie ganz dem Bilde nah, daß einer Dame, einem Vamp zumal, Äußerlichkeiten nicht das Geringste anhaben können.

Ob sie schön aussieht, muß der Betrachter selbst entscheiden. Romy Haag, die 1950 als Eduard Frans Verbaarsschott im niederländischen Badeort Scheveningen geboren wurde, ist das, was unsere Mütter nie waren: eine Lady, immer in Form, nie aus der Form gegangen. „Ein Körper in Luxusverhüllung“, schrieb vor 20 Jahren das Magazin Theater heute. Das war zu einer Zeit, als das weibliche Fach in der Homoszene noch durch Billigtransen in Flittertravestie abgedeckt war. Romy Haag muß damals eine Sensation gewesen sein, optisch und durch die Geschichte, die man über sie kolportierte.

Mit 13 von zu Hause abgehauen, mit einem Zirkuskünstler; nur die Grundschule besucht, der „Rest hat mich nicht interessiert“, sagt sie heute. In den Siebzigern, als sie nach Berlin kam, reichten diese spärlichen biographischen Notizen aus, um beim linksliberalen Frontstadtpublikum zu reüssieren: Seht her, ich komm' von ganz unten und kann trotzdem die erlesensten Fummel tragen!

Vergangene Zeiten. Kürzlich, erzählt Romy, die Kettenraucherin, bei einem Becher Tee, „war ich in einem indischen Kloster“. Es muß grauenvoll gewesen sein für die konvertierte Buddhistin, daß sie am Rande des Tempels ausharren mußte und nicht gleich zu den Hohepriestern vorgelassen wurde. Aber die Haag ist diszipliniert, sagt sie selbst, „da mache ich nicht schlapp“. Tapferes Mädchen. Dennoch, meint sie bestimmt, „da werde ich nicht nochmal hinfahren“. Und streckt sich ein wenig auf einem ihrer beiden tigergemusterten Sofas. Es bedeutet wohl: Auch einer auf Erleuchtung Hoffenden sind solche Kulturleistungen wie anständige Sitzmöbel am Ende sehr wichtig.

Zurück zu den Siebzigern? Nicht so gerne. Romy Haag wird ganz ungehalten, weil ihr Besuch nicht alle ihre Lebensstationen auswendig herzubeten weiß. Aber sie ist gnädig und erwähnt nachdrücklich, acht LPs produziert zu haben , allesamt gefüllt mit ihrer dunklen Stimmen, die sie für ihren Erfolg im West-Berlin der Siebziger verantwortlich macht: „Berliner mögen dunkle Stimmen.“ 1974 kam sie in den westlichen Teil der Stadt. Zuvor arbeitete sie als Schönheitstänzerin in New York, in Paris – Stationen einer Laufbahn, die zumindest in Berlin als Weltläufigkeit gedeutet wurden.

Es war eine Allianz der guten Vorsätze: Berlin brauchte sie, hatte man doch außer Edith Hancke und Edith Clever nicht so recht etwas zu bieten, was über die Insellage hinauswies. Und Romy brauchte Berlin – in Paris und New York, wo sie für Warhols Factory- Clique zu früh war, gab es viele wie sie. In Berlin würde sie einzig sein.

Es war wohl Liebe auf den ersten Blick. Romy Haag gab den Berlinern, was die Berliner wollten – Verruchtheit und das Gefühl, von einer, die von Welt sein muß, erwählt worden zu sein. Sie avancierte schnell zum „Engel der Subkultur“. Ging mit David Bowie um die Häuser, sang Material von Edith Piaf, Brel, Klaus Hoffmann und Brecht. Immer in der Pose, die das einheimische Laubenpiepergemüt begierig als frivol aufzusaugen bereit war.

„Keine ist echter“, urteilte einmal ein Kritiker ihr Programm. Kein Lob hätte größer ausfallen können: Romy Haag, die Kunstfigur, die Frau, die eigentlich ein Mann ist, der eine Frau gibt, die das wahre Leben nicht kennt.

„Chez Romy“ hieß ihr Nachtclub, wo aus dem Undergroundtip ein Kult wurde. Berlin erkannte sich in der Künstlerin selbst: ausgerüstet mit dem Willen zur indezenten Weltklasse. Dort traf sich alles, was Geld und guter Wille zu bieten hatten: Goldketten noch und noch. Das Lokal war das Trainingsgelände für die spätere Campbewegung, also für das Bekenntnis zum schlechten Geschmack im guten Leben.

Es war dort zeitweise so voll, daß keine Stecknadel auf den Boden fallen konnte. Romy Haag wurde so zum Berliner Standortfaktor – eine Art Visitenkarte für die Stadt, die doch nicht eben viel an juvenilem Schwung zu bieten hatte. Dabeisein bei Romy – das war hip, ehe das Wort überhaupt erfunden wurde.

Vergangene Zeiten. Jetzt sagt jeder seinen Spruch gegen „Spießertum“ und das „enge Korsett des Normalen“ auf – früher war es R. H. vorbehalten, ihr Recht auf das Andere vorzuleben. Nun sitzt Romy Haag in ihrer Wohnung und plant. Sie hat Fernsehen gemacht, als noch niemand an die Existenz einer Lilo Wanders dachte; hat in Filmen mitgespielt von Alfred Weidenmann, Robert von Ackeren – nicht gerade Publikumsrenner, auch keine Offhits, aber immerhin.

Die Mittvierzigerin, die Anfang der achtziger Jahre per Operation besiegeln ließ, was sie schon immer empfand, nämlich eine Frau zu sein, brütet über neuen Projekten. Gut, sie ist etwas aus der Mode gekommen. Es gibt andere in der Stadt, die eine ebensogute Dame geben können – nicht zuletzt Georgette Dee, die Romy Haag im übrigen „großartig“ findet. Jetzt tritt sie im Renaissance-Theater auf, mit dem gleichen Programm auch im Düsseldorfer Kom(m)ödchen: „Schlüsselerlebnisse“ wird es heißen. Die Haag wiegelt aber gleich ab: „Nicht besonders autobiographisch. Jeder soll sich selbst seine Schlüsselstellen suchen können.“ Und das ist wieder typisch Haag: Die Überschrift ist alles, der Text Nebensache.

Schließlich will sie ein Buch schreiben, um endlich mal zu sagen, wie es wirklich war, damals in den Siebzigern. Oder Achtzigern. Überhaupt, wie es zu ihrem Leben kam. Früher, sagt sie, habe sie New York verlassen, weil die Stadt nicht mehr spirituell genug war. „Damals im Village...“, sagt sie, da war es noch auszuhalten. Heute? „Wie tot. Das Leben dort tut nur so, als würde es leben.“ Nett gesagt – wie das meiste, das R. H. so formuliert. Jedenfalls, das möchte man doch bitte nicht vergessen, sei sie immer am richtigen Ort zu richtigen Zeit gewesen, seit fast einem Vierteljahrhundert nun Berlin.

„Ich würde Berlin verlassen, wenn die Stadt fertig wird, wenn es keine Spannungen mehr gibt. Nur noch Hongkong hat diesen spirit.“ Aber wird Berlin nicht irgendwann reinlich sein, fertig also? „Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Berlin is a struggling city. Und darüber werde ich sterben.“

Romy Haag: „Schlüsselerlebnisse“, heute und morgen, jeweils 20 Uhr, Renaissance-Theater, Knesebeckstr. 100