"Ein Behördenchef ist ein Betriebsleiter"

■ Der neue Justizsenator Ehrhart Körting (SPD) will Gerichtsverfahren beschleunigen. Eine Spritzenvergabe für den drogenbelasteten Männerknast Tegel lehnt er ab. Bei den Verkäufen des Landesvermögen

taz: Herr Körting, was brennt Ihnen am meisten unter den Nägeln?

Ehrhart Körting: Es wird immer erwartet, daß man strahlende Ideen hat und alles anders macht. Dabei ist ein Behördenchef ein Betriebsleiter, der vor allem dafür sorgen muß, daß der Betrieb funktioniert. Das ist eine sehr unspektakuläre Aufgabe. Ein dringendes Anliegen ist mir, Stauungen im Justizbereich aufzulösen. Die Verwaltungsgerichte sind mit einer Vielzahl von ausländerrechtlichen Verfahren überlaufen. Das führt zu sehr langen Terminständen.

Sie haben angekündigt, daß die Schnellgerichtsverfahren ausgebaut werden sollen. Was sagen Sie zu der Kritik, daß die Verteidigerrechte der Angeklagten in solchen Verfahren eingeschränkt sind?

Solche Verfahren kommen nur bei einer Kleinkriminalität bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe in Frage und zumeist, wenn der Betroffene geständig ist. Die Verfahren sind sehr hilfreich, weil der Erziehungseffekt viel größer ist, als wenn neun Monate bis zum Prozeß vergehen. Gerade bei Ersttätern können diese Verfahren Wiederholungstaten verringern.

Stichwort Strafvollzug. Wie wollen Sie das Problem der Überbelegung in den Männerhaftanstalten angehen?

Nach dem geplanten Auszug der weiblichen Inhaftierten aus der JVA für Frauen, Standort Plötzensee, wird die Haftanstalt für den Männervollzug frei. Sie soll spätestens im Frühjahr 1998 bezogen werden. Das baut die Überbelegung zwar nicht ab, sorgt aber dafür, daß sich die Lage in der JVA Tegel etwas entspannt. Auf lange Sicht wird man kaum um den Neubau einer Männerhaftanstalt herumkommen. In der Investitionsplanung ist dies für das Jahr 2000 vorgesehen.

Warum setzen Sie nicht verstärkt auf Haftvermeidung wie in Bremen? 1987 gab die Hansestadt 12.000 Mark für freie Träger der Bewährungshilfe aus. In diesem Jahr stieg der Betrag auf 2,4 Millionen Mark. Das Projekt ist so erfolgreich, daß 34 Prozent der Haftplätze durch die Schließung von Teilanstalten abgebaut werden konnten.

Wir haben gerade im Haushaltsausschuß erreicht, daß die Streichung der Mittel für freie Träger zurückgenommen worden ist. Damit stehen im nächsten Jahr wieder 489.000 Mark zur Verfügung. Ich halte das für sehr sinnvoll. Ich werde alles mitmachen, was bessere Chancen auf Resozialisierung eröffnet.

Dafür sind die Gelder für die elektronische Fußfessel, ein Lieblingsprojekt ihrer Vorgängerin Peschel-Gutzeit, im Hauptausschuß gestrichen worden.

Das Geld ist nur für den Haushalt 1998 gestrichen. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß der Bundestag 1998 noch nicht über die notwendige Gesetzesänderung entscheiden wird. Damit ist das Projekt, das ich grundsätzlich befürworte, nicht gestrichen, sondern nur verschoben.

Die Fußfessel stößt bei vielen Strafvollzugsexperten auf große Skepsis. Bei der letzten Justizministerkonferenz stand Peschel-Gutzeit damit ziemlich allein da.

Nach den Erfahrungen in Schweden finde ich, daß man das in Deutschland in einem Modellversuch ausprobieren sollte. Aber alle Beteiligten, auch Frau Peschel- Gutzeit, sind sich darüber im klaren, daß die elektronische Fußfessel nicht die große Lösung für die Vollzugsprobleme ist, sondern nur für eine relativ eng begrenzte Klientel in Frage kommt.

Wie steht es mit der Vergabe von Spritzen an drogenabhängige Gefangene zur Aids-Prävention?

Das steht in der Koalitionsvereinbarung. Wir werden sie sobald wie möglich durchführen. Aber wir müssen wir uns über eines im klaren sein: Spritzenvergabe im Knast ist das kleinere Übel gegenüber einer Zunahme von HIV-Infektionen.

In der neuen Frauenhaftanstalt Lichtenberg und in der Lehrter Straße soll das Spritzenprojekt bald losgehen. Wie sieht es mit der JVA Tegel aus, wo die meisten drogenabhängigen Gefangenen einsitzen?

Es handelt sich bewußt um ein Modellprojekt in kleinen Einrichtungen, um Erfahrungen zu sammeln, und nicht um eine flächendeckende Einführung.

Ihre Vorgängerin hat sich in einem Brief an den Regierenden Bürgermeister darüber beklagt, daß die Einsparungen den Justizapparat lahmlegen. Sehen Sie das auch so dramatisch?

Ich halte es für eine Illusion zu glauben, daß irgendein Ressort von Einsparungen völlig frei ist. Wenn ich aber so wenig Richter habe, daß die Leute fünf Jahre auf ihr Urteil warten müssen, ist das mit meinem Rechtsstaatsbild nicht mehr zu vereinbaren. Wir sind aber noch nicht an diesem Punkt. Es knirscht zwar alles, aber es wird zum Teil auch überdramatisiert.

Teile der CDU befürworten das Modell der New Yorker Polizei, mit Null-Toleranz gegen Straftäter vorzugehen. Halten Sie diese Linie für übertragbar?

Die Rigorosität, mit der man in New York vorgeht, ist nicht übertragbar. Das halte ich für ausgeschlossen. New York hat ganz anders gelagerte Probleme. Ich bin jedoch für schnelle Ahndung und für schnelle Sühne von Vergehen.

Die Polizei wirft den Gerichten häufig vor, zu lasch zu sein. Werden Sie sich deutlicher hinter die Richter stellen, als Ihre Vorgängerin dies getan hat?

Das ist kein Problem der Richter, sondern ein Problem, wie wir in den letzten Jahrzehnten die Diskussion über Straftaten und Prävention geführt haben. Anfang des Jahrhunderts galt, wer straffällig wird, hatte sich auf Dauer aus der Gesellschaft verabschiedet. Durch die 68er-Generation schlug das Pendel in die andere Richtung. Da wurde alles auf das soziale Umfeld geschoben und die Eigenverantwortlichkeit heruntergespielt. Diese Diskussion der 70er Jahre hat viele geprägt, auch mich. Inzwischen bin ich der Auffassung, daß diese einseitige Betonung nicht richtig war. Das Gesellschaftsbild muß sich wieder wandeln.

Werden Sie als 68er eine Wellenlänge zu Innensenator Schönbohm finden?

Er ist ungefähr meine Generation. Da sehe ich überhaupt kein Problem. Ich werde mich bemühen, möglichst viele Konsenspunkte mit Herrn Schönbohm zu finden, um etwas für die Stadt zu erreichen, und nicht die Differenzen zu betonen.

Die SPD ist in der Frage der Vermögensverkäufe gespalten. Der Parteitag hat einer Teilprivatisierung der Wasserbetriebe und der Wohnungsbaugesellschaften nur bedingt zugestimmt. Was ist Ihre Position?

Die Beschlüsse des Parteitags waren zu detailliert. Ich halte es aber ebenso für falsch, bei der Privatisierung der Wasserbetriebe von vornherein zu sagen, nur die Aktiengesellschaft ist das Allheilmittel. Eine Partei muß Richtungsentscheidungen treffen und nicht den Vertrag nach dem Aktienrecht bis ins letzte Komma ausformulieren. Das kann nicht Aufgabe eines Parteitages sein. Die Partei hätte sich auf eine Grundsatzentscheidung beschränken müssen: Entweder wir lassen Privatisierung zu, oder wir wollen in dem Bereich überhaupt keine Privatisierung. Darüber abzustimmen, ob man 51 Prozent einer Wohnungsbaugesellschaft verkauft oder 49 Prozent, ist nicht mehr Politik, sondern Übernahme von Verwaltungshandeln.

Wäre es nicht Aufgabe der Parteiführung gewesen, eine solche Grundsatzentscheidung herbeizuführen?

Da hat auch die Diskussion in den Gewerkschaften eine Rolle gespielt. Die Parteien werden alle lernen müssen, daß sie die Richtung vorgeben müssen und nicht die Ausführungsvorschriften auf Parteitagen beschließen. Allerdings scheint mir noch nicht ausreichend geprüft zu sein, welche Vor- und Nachteile mit den verschiedenen Privatisierungsvarianten verbunden sind.

Das läßt Wirtschaftssenator Elmar Pieroth (CDU) seit über einem Jahr prüfen.

Was ich bislang von allen Beteiligten an Diskussionbeiträgen dazu gehört habe, war sehr fachtechnisch, aber in der Wirtschaft spielen ganz andere Kriterien eine Rolle. Wenn ich eine städtische Gesellschaft privatisieren oder teilprivatisieren will, kann ich mir die feinsten Modelle ausdenken. Das Entscheidende ist, daß ich mit einem Partner aushandeln muß, zu welchen Konditionen er bereit ist einzusteigen. Insofern ist diese Modelldiskussion eher gespenstisch.

Das heißt, die Debatte um Vermögensverkäufe ist vom falschen Ende her aufgezäumt?

Nein, aber man müßte deutlich machen, wer die möglichen Partner sein könnten. Statt dessen macht man sich über die Vertragsgestaltung Gedanken, bevor man einen Kaufinteressenten hat.

Sie werden als solide, zuverlässig, kooperativ beschrieben, aber auch als profillos und angepaßt. Wie sehen Sie sich selbst?

Ich bin eher jemand, der zur Ruhe neigt. Aber ich verfolge das, was ich für richtig erkenne, auch konsequent weiter.

Notfalls auch gegen Widerstand?

Mir ist es lieber, die anderen machen das, was ich für richtig halte, mit, weil sie sehen, daß es richtig ist. Aber wenn es sein muß, setze ich Dinge auch gegen Widerstand durch. Einer meiner Ziehväter war Harry Ristock (der verstorbene SPD-Bausenator; d.Red). Er hat immer gesagt, man muß die Leute mit auf die Reise nehmen. Das ist auch mein Politikstil: die Leute mit auf die Reise zu nehmen, egal in welcher Partei sie sind. Deshalb habe ich überhaupt keine Berührungsängste mit den Kollegen von der CDU.

Aber ihr Herz schlägt für rot- grün?

Mein Herz schlägt als Demokrat für kleine Koalitionen. Für die Demokratie ist es immer besser, wenn es eine starke Opposition gibt, die die Regierung gut kontrollieren kann. Interview: Plutonia Plarre und

Dorothee Winden