Wand und Boden
: Kidnapping ist sexy

■ Kunst in Berlin jetzt: Comani/Daniel, Hohenbüchler, Blast Theory

Auf das Umfeld kommt es an. Der NBK war früher ein Kunstverein am Ku'damm, der Objekte, Bilder und Konzept-Arbeiten ausstellte, während nebenher ein Videoforum aufgebaut wurde. Jetzt liegen die Räume in Mitte, entsprechend haben sich die Schwerpunkte verändert: Neue Medien, Kontextfotografie, Architekturkritik. Bei (O.m.U.) von Daniela Comani und Beate Daniel geht es gleich um mediale Verwandlungen schlechthin. Darum, „daß der Übersetzer die Sprache des Originals aufbrechen, von ihren Fesseln befreien muß“. So steht es im Katalog, aber statt frei im Raum schwebender französischer Theorie gibt es hübsch alltagsmäßige Trash-Objekte und rasant geschnittene Videoschnipsel.

Das Aufgabenfeld von Beate Daniel besteht weitgehend aus Hund. Eine Ahnengalerie mit Vierbeinern zeichnet die Entwicklung der Malerei von Pisanello und Lucas Cranach über Gustave Courbet zu Otto Dix nach und endet mit der Künstlerin selbst. Dazu gesellen sich Pappkartons, die skulptural mit dem Schwanz wedeln, und Hundehütten, an denen Daniel optische Täuschungen mit Grund/Figur durchspielt. So werden mit leichter Hand die Sprachspiele in visuelle Bilder aufgelöst.

Düster dagegen der Hintergrund von Daniela Comani: Im Sekundentakt wechseln sich emotional aufgeladene Filmsequenzen ab, während bei ihrer zweiten Videoinstallation eine Frau starr in die Kamera blickt und auf allerlei intime Fragen mit „Ja“ oder „Nein“ antwortet. Comani geht es um die physische Präsenz medial gefertigter Bilder. Mitunter ist dieser Übergriff sehr konstruiert, dann schaut man auf posterwandgroße Unfalleichen.

Bis 4.1. 98, Di.–Fr. 12–18, Sa./So. 12–16 Uhr, Chausseestr. 128

Die eine malt, die andere webt Wolle und schweißt Stahlmöbel. Um Handwerk geht es trotzdem nicht: Gemeinsam haben Christine & Irene Hohenbüchler zuletzt auf der documenta X ihr Konzept der multiplen Autorenschaft vorgeführt und dabei ihre Arbeit mit geistig behinderten Menschen der Lebenshilfe Lienz zu einem Gesamtkunstwerk verzahnt. Die Kritik kam von beiden Seiten. Einmal wurde den Österreicherinnen soziale Ausbeutung vorgeworfen, umgekehrt mochten Besucher die liebevoll gefertigten Produkte nicht neben den verschnörkelten Zeichnungen von Thomas Schütte sehen.

In der Galerie Barbara Weiss ist den Hohenbüchlers die Interaktion mit dem Publikum gelungen. Zur Eröffnung tobten Kinder auf Socken durch die Räume und malten Tante Christi, Fußspuren und Eisenbahnen auf den mit Packpapier ausgelegten Boden. Dazwischen waren geschickt Luftpolsterfolien, Farbquadrate und kleine Zettel geklebt, so daß sich das Arrangement zu einem großflächigen Bild zusammenfügte. Selbst die mit Wolldecken drapierten Stühle, die Christine Hohenbüchler als „Prototyp für Kommunikationsmöbel“ versteht, wirken wie kleine Inseln im Aktionsraum.

Die Installation geht auf Kinderporträts in der klassischen Malerei zurück. Einige Skizzen zeigen einzelne Figuren aus bekannten Gemälden, etwa die Infantin von Velázquez oder Philipp Otto Runges „Hüsenbecksche Kinder“. Alles weitere wurde den Kinder selbst überlassen. Damit die Umwidmung Künstler/Laie und Produktion/ Spiel nicht in Willkür ausartet, haben die Hohenbüchlers einen abstrakten Rahmen geschaffen. Innerhalb dieser Vorgabe ist dann jede Annäherung möglich.

Bis 17.1., Di.–Fr. 12–18, Sa. 11–14 Uhr, Potsdamer Straße 93

Die Frau am Empfang ist höflich. Wer den Raum betreten will, muß zuerst eine Erklärung ausfüllen: „Ich bin einverstanden, daß Blast Theory mich jederzeit kidnappen können, gezeichnet H. Fricke, 27.11. 97“. Damit ist man bereits Teil des Projekts der New-Theatre-Performance-Gruppe aus London.

Ob Spiel, Spaß oder Popkultur – die Briten haben sich Gedanken darüber gemacht, wie die Gesellschaft mit Entführungen umgeht. Das Interesse ist groß, 20 Jahre nach dem deutschen Herbst wird die RAF wieder diskutiert, in der BZ tauchen alle paar Tage Triebtäter auf, die kleine Jungs verschleppt und mißbraucht haben. Die Hemmschwellen sinken, Angst und Entsetzen sind längst der Sensationsgier gewichen, so der Ansatz von Blast Theory, und Kidnapping ist sexy.

Im Künstlerhaus Bethanien kann sich nun jeder selbst für eine Entführung bewerben. Wer Glück hat, wird ausgewählt und von der Künstlergruppe an einem geheimen Ort für 48 Stunden festgehalten; „das Projekt kann live im Internet verfolgt werden“. Derzeit befindet sich die Aktion noch in Vorbereitung, sämtliche BewerberInnen müssen erst einmal psychologischen Tests unterzogen werden. So ermittelt ein freundlicher junger Mann im Gespräch Lieblingslieder und bevorzugte Filmstars, fragt nach Heldenträumen, an die man sich erinnern soll, und ob man mit seinem Leben zufrieden ist. Nebenbei wird die Plauderei auf Video festgehalten und archiviert. Irgendwann kommt man zwar dahinter, daß die Fragen im Entführungsfall gnadenlos gegen einen verwendet werden können, dann wird „A Day in the Life“ vermutlich zur musikalischen Folter. Für ein Verhör ist die Atmosphäre aber trotzdem sehr angenehm.

Bis 7.12., Mi.–So. 14–19 Uhr, Mariannenplatz 2 Harald Fricke