Echte Leichen, falsches Blut

oder Warum eine Schweizer Bilderfälscherfarce dann doch Modellcharakter hat  ■ Von Georg Seeßlen

Die Fakten sind eigentlich, was sie meistens sind, nämlich ziemlich banal. Da macht ein ägyptischer Fotograf am Tag nach dem Massaker von Luxor ein Bild, auf dem vor dem antiken Gebäude eine große Lache bräunlicher Flüssigkeit zu sehen ist. Ist es Wasser, oder ist es Blut? Eine Schweizer Zeitung beschließt, die Frage eindeutig und zwar mittels Farbretusche zu beantworten. Das Schweizer Fernsehen verfährt beim Hintergrundbild für die verlesene Nachricht genauso. Eine andere Schweizer Zeitung deckt diesen Vorgang der Bildmanipulation auf. Während sich das Fernsehen brav für den „dummen Fehler“ entschuldigt, schiebt die Redaktion des Blick alles auf die Technik und schickt, weil man schon mal dabei ist, ein paar Retourkutschen in Richtung SonntagsZeitung, deren Chefredakteur wegen Manipulation von Zitaten entlassen worden ist.

Was ist zu lernen aus diesem neuerlichen Affärchen in der unendlichen Geschichte der fotografischen und elektronischen Bilderfälscherei? Erstens: Bildbearbeitungen sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel, und die Grenzen zwischen Verdeutlichen, Interpretieren und Fälschen sind ausgesprochen fließend. Zweitens: Eine technisch nach dem state for the art vorgenommene Bildfälschung wird nur dann entdeckt, wenn gerade ein Konkurrent glaubt, zu heftigeren Mitteln greifen zu müssen. Anders gesagt: Das Aufdecken einer Manipulation ist in der Regel selber Ergebnis einer Manipulation. Drittens: Es gibt Bilder, die sozusagen nach ihrer Fälschung schreien. Was gäbe ein Bild her, dessen Hauptmotiv eine Wasserlache ist und das am Tag nach einem Massaker aufgenommen und in die internationalen Verwertungskanäle gespeist wird, wenn man nicht damit spekulierte, die Natur dieser Lache unklar bleiben zu lassen? Diese Überlegung mag uns immerhin die einfache Phantasie verleiden, es gebe das „ehrliche Bild“, das dann irgendwelchen Fälschern in die Hand gefallen sei. Viertens: Der Skandal um das Fälschen eines Bildes hat gerade mal noch Platz auf der Seite „Vermischtes“. Fünftens: Ein ernsthaftes Projekt zur Ächtung der gewöhnlichen Bilderfälscherei ist schon deswegen nicht zu erwarten, weil in der Medienkultur, in der das zu geschehen hätte, mehr oder weniger jeder von solchen Vorgängen profitiert. Eine Ethik im Umgang mit Bildern ist nirgendwo formuliert und wird nirgendwo gelehrt. Der freie Markt kann sie nicht brauchen.

So what? Nach der großen Klage über unseren kannibalischen Bilderhunger in der Multimedia-Oper „Dianas Tod“ entlockt uns so ein bißchen Verwandlung von Wasser in Blut kaum noch einen medienkritischen Seufzer. Wir ziehen uns ein paar französische Philosophen rein und erklären die Wirklichkeit für sowieso überholt. Von den beschleunigten Bildern nämlich. Vielleicht liegt die einzig heiße Nachricht der Affäre ja auch gerade in ihrer Schweizerischkeit. Wenn schon in einer so grundsoliden, stinklangweiligen Kultur die Bilder gefälscht werden, dann aber gruezi, postmoderner Medienbeschiß!

Und doch! Der Skandal liegt gerade in der Kleinheit, der Gewöhnlichkeit des Falles, in der raschen Selbst-Absolution der Beteiligten. Niemand verkauft da ja wirkliche Täuschungen, man gleicht nur das Bild der Nachricht an. Schließlich ist in Luxor ja wirklich Blut geflossen. Man hat höchstens der Wirklichkeit ein bißchen geholfen, ans Publikum zu kommen. Was ist ein Bild denn anderes? Doch ganz nebenbei tut sich da eine Beziehungsfalle auf. Während das gefälschte Bild zur Metapher wird („Ströme von Blut“), erscheint es uns schon wieder humaner als das „authentische“. Welcher Redakteur ist der größere Schuft: der, der uns die Nahaufnahme einer echten Leiche als Aufreißer serviert, oder der, der uns ein eher symbolisches Blut- Bild dahinfälscht?

Die Frage ist natürlich falsch gestellt. Wenn es eine Ethik der Bilderverwendung im Medienmarkt gäbe, wäre das eine wie das andere ausgeschlossen. Denn die Gegenüberstellung von authentischem und gefälschtem Bild ist nur eine triviale Sonderform der Frage nach der Funktion des Bildes in seinem Kontext. Verantwortung verläppert sich im populistischen Kreislauf: Warum macht ihr so schreckliche Bilder? Weil ihr so schreckliche Bilder haben wollt! Aber wir würden sie gar nicht wollen, wenn ihr sie uns nicht anbieten würdet! Wenn wir sie euch nicht anbieten, kauft ihr sofort die Konkurrenz. In der Dramaturgie dieses Skandälchens ist eine dritte Instanz dazugekommen: die Technik. Sie arbeiten offensichtlich schon jenseits der Kontrolle aller Seiten des Marktes. Da kann man nichts machen.

Wir haben unsere Bildermaschinen. Da stecken wir oben Ereignisse und Konsumentenprofile und das manchmal eben ein bißchen blutige Handwerk der Bilderpiraten hinein. Und unten kommen Bilder und Geschichten und Auflagen und Quoten heraus. Was dazwischen passiert, ist Technik. Ziemlich geheimnisvoll, kein Thema für moralische Diskurse. Und wer diese Maschine kritisieren will, der darf sie auch nicht benutzen. Der kriegt also keine Bilder und Geschichten und Auflagen und Quoten. Wird nicht gesehen und nicht gehört. Wo Medien sind, sagt Peter Hacks, braucht es keine Zensur. Höchstens ab und zu einen Bilderfälscherskandal.