■ Stille Tage im Klischee: Was Niederländer über Deutsche denken
: Zu ähnlich, um sich zu mögen

Der Deutsche ist: verbissen und verknöchert, dazu rechthaberisch, förmlich und emotionsschwach. Er wohnt in protzigen Häusern, kann nicht langsam Auto fahren, nimmt in großen Mengen Wurst mit Fritten zu sich und viel Bier. Den Niederländer mag er gar nicht. Der Niederländer ist: liberal, locker, geizig, dabei selbstironisch, streitfreudig und unkompliziert. Er lebt in gardinenlosen Häusern, kann überhaupt nicht Auto fahren, ißt Fritten mit Erdnußsoße und dazu ein schaumarmes Getränk, das er kühnerweise Bier nennt. Den Deutschen mag er gar nicht.

So in etwa ist die nachbarschaftliche Lage — heißt es. Was beide Seiten eint, ist die Vorliebe für Klischees — im festen Glauben, selbst keine zu haben und keinem zu entsprechen. Man kann den anderen nicht leiden und ist fest überzeugt, grundsätzlich anders zu sein. Sagt jeder von sich und von den anderen. Die neueste Meinungserhebung kommt diese Woche wieder mal vom Haager Forschungsinstitut Clingendael. Es bestätigt hartnäckig alle bisherigen Umfragen: Deutschland, sagen die meisten niederländischen Jugendlichen, ist das mit Abstand unsympathischste Land in Europa. Eigenschaften: kriegslüstern, rechtsextremistisch, fremdenfeindlich, unbelehrbar, arrogant. Auf solche Umfragen folgt stets beleidigtes Entsetzen. Diese kleinen, fiesen Holländer! Wütend war der Deutsche insbesondere auf die Millionen „Ik ben woedend“-Karten an Kanzler Kohl nach dem Solinger Brandanschlag. Willkommen im Klischee.

Selbst bei Kongressen der kuriosen Nachbarn zum Thema gilt Redners Grundsatz: Bediene ein jedes Vorurteil (notfalls als Witz getarnt) und bestreite es gleichzeitig vehement. Selbst jenes, das da sagt, alle Zuschreibungen von Eigenschaften und Kritik entsprüngen nur dem Neid: Ach, wie gern wären wir Deutschen doch auch so locker, wir Holländer so dominant.

Aufgeklärte Tagungs-Niederländer sind gern sehr selbstkritisch und deutschfreundlich. Die deutsche Intelligenzija kommt gern mit großem Lob für den kleinen Nachbarn. Überall nur Zirkelschlüsse und Widersprüche, die sich selbst befruchten. Man sei „beidseitig übersensibel“, sagt der Groninger Politologe Professor Friso Wielenga. „Jeder Niederländer glaubt, daß alle anderen Niederländer die Deutschen nicht mögen.“ Folglich prügeln sie so sehr auf die Deutschen ein, daß der Historiker Hermann von der Dunk den Seinen „verkappten Rassismus“ attestiert. Ja, welche Schublade hätten S' gern?

In Wirklichkeit sind beide effektive Industrienationen — die einen produzieren massenweise Selbstbeweger, die sie als Panzer Friedensgefährt nennen und in ziviler Variante Mercedes. Die anderen fertigen rotfarbene Wasserballons, die sie als „Tomaten“ (meist an uns) verhökern. Die einen haben die Verbrechen des Nationalsozialismus zu verantworten, die anderen ihre böse kolonialistische Vergangenheit (bis vor wenigen Jahren deutschwürdig verdrängt). Nicht müde werden die Niederländer, die schlimme Besatzungszeit 1940–45 aufs Tapet zu bringen, wo „Oma das Fahrrad geklaut“ wurde. In keinem Land gab es so viele Kollaboteure wie rund um die Windmühlen.

Dritte übrigens erkennen sowieso kaum einen Unterschied zwischen Dutch und Deutsch. Und bei großer Ähnlichkeit, das kennt man ja, neigen zwei Beteiligte gern dazu, sich abzugrenzen und Kleinigkeiten zu künstlich verschiedenen Identitäten aufzubauschen. Vielleicht sind die Niederländer sogar deutscher als die Deutschen und vice versa.

Ach Holland! Wie gern urlauben wir in deinem übersichtlich flachen Land! Können Millionen irren? Doch Vorsicht: Da fährst du in diesem freundlichen, liberalen Land mit dem Zug, du hast deinen Fahrschein verloren, und der werte Meneer Kontrolleur präsentiert sich arroganter und unerbittlicher, als es noch jeder deutsche Sturschaffner je war: 60 Gulden Strafe. Keine Diskussion. Alle Klischees dahin. Oder doch bestens bedient? Denn vielleicht lag es nur an der deutschen Identität. Womöglich gilt Moffenabstrafen im Bahnwesen der Nachbarn als interner Adelsschlag. Tot ziens — zur nächsten Studie aus dem einen Absurdistan für das andere. Bernd Müllender