Trotz Aids zurück ins Arbeitsleben

■ Weil die Überlebenschancen gestiegen sind, kümmert sich das Projekt "Aids & Arbeit" um neue Zukunftsperspektiven und die Integration der Kranken in die Arbeitswelt. Die Zahl der Aids-Patienten in Kranken

Kai hat wieder Aussicht auf ein langes Leben. Fünf Jahre ist es her, daß er seinen Job in einer Werbeagentur hingeschmissen, sein restliches Geld in Thailand verpraßt und Rente beantragt hat. Damals war Kai 26 und hatte einen HIV- Test gemacht. Ergebnis: Positiv. Das Ende – dachte Kai. Seit einem Jahr schluckt Kai mit akribischer Regelmäßigkeit Tabletten und denkt über die Zukunft nach. Seit der Einführung der erfolgversprechenden Protease-Hemmer ist keineswegs ausgeschlossen, daß er noch mehrere Jahrzehnte weitgehend schmerzfrei leben wird. Seine Frührente reicht jetzt schon vorne und hinten nicht. Nun sucht er wieder einen Job.

Um Leute wie Kai kümmert sich seit kurzem das Projekt „Aids & Arbeit“ in den Räumen der Schwulenberatung in der Mommsenstraße. „Die meisten Positiven brauchen niemanden mehr, der Händchen hält und mittrauert“, sagt Projektleiter Christian Denzin. „Was sie brauchen, ist eine völlig neue Perspektive. Viele haben jahrelang nicht darüber nachgedacht, wie es weitergehen soll.“

„Aids & Arbeit“ vermittelt den Kontakt zu Mitarbeitern des Arbeitsamtes, die mit dem Problem vertraut sind, zu Berufsberatungen oder dem Fachdienst für Integration und Beratung, der sich mit der Reintegration von Schwerbehinderten oder psychisch kranken Menschen befaßt.

Anders als erwartet mangelt es oft aber weniger an Arbeit als an Geld. Deshalb versteht sich Aids & Arbeit auch als Sozialrechtsberatung. „Die Leute sollen nicht flugs wieder arbeiten müssen“, sagt Denzin. „Wir klären zunächst, was sie eigentlich wollen.“ Denn angesichts der medizinischen Fortschritte ist nicht nur „Aids und Arbeit“ ein Thema, sondern auch „Aids und Armut“: Zahlreiche Positive leben von Sozialhilfe, weil sie nie fünf Jahre ununterbrochen gearbeitet haben und keine Rente bekommen. Jeder zweite Kranke in Berlin bat 1996 die Deutsche Aids-Stiftung um Zuschüsse für Strom- oder Telefonrechnungen oder eine Renovierung.

Demgegenüber ist die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt nicht so einfach: Das strenge Medikamentenregime – dreimal täglich müssen gut gekühlte Pillen vor oder nach dem Essen und zum Teil in Verbindung mit bestimmmten Fruchtsäften eingenommen werden – steht vielen Jobs im Weg. Oft steht eine Umschulung an. Auch sei Aufklärung bei den Arbeitgebern nötig, sagt Denzin. Zwar habe sich herumgesprochen, daß am Arbeitsplatz keine Ansteckungsgefahr bestehe. „Aber kaum jemand glaubt, daß die Leute nicht dauernd krank im Bett liegen“, erzählt Denzin.

Auf die vier Mitarbeiter des ABM-Projekts in der Mommsenstraße dürfte noch viel Arbeit zukommen: Nach jetzigem Stand schlägt die Therapie bei vier von fünf Patienten an. Auf der Aids- Station im Auguste-Viktoria- Krankenhaus berichtet man von sinkenden Belegungszahlen und kürzeren Behandlungszeiten. Der Senat hat auf die verbesserten Überlebenschancen für 8.000 Menschen prompt auf seine Weise reagiert: Standen 1996 noch 6,1 Millionen Mark für Aids-Projekte zur Verfügung, sind es in diesem Jahr noch 5,5 Millionen. Außen vor bleiben dabei nicht nur die „Therapieversager“: Junkies erhalten keine Behandlung, weil sie als zu unzuverlässig gelten. Jeannette Goddar