Lüsterne Haßtiraden

■ Früher wäre das nicht passiert: Wiglaf Droste las unbeschimpft in Hamburg

Die Ankündigung der Hamburger Kammerspiele zu Wiglaf Drostes Lesung klang fast schon nach einer Beleidigung: Sie bezeichnete ihn, der sich über nichts schöner erbost als Phrasendrescherei, als einen „unabhängigen Kopf“. Droste mag das immerhin lieber gewesen sein, als die Spiegel-Stilisierung zum „zornigen jungen Szene-Marlon Brando“. Vielleicht ist es ihm aber auch egal, denn spätestens seit er nach der Veröffentlichung seiner Satire Der Barbier von Sevilla im vergangenen Jahr wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 23.000 Mark verurteilt wurde, ist er eh davon überzeugt, daß „in Deutschland leben, knietief durch Dummheit waten“heißt.

„Das ist nicht mein Hamburg“, konstatierte Droste, nachdem er bereits eine halbe Stunde dezent gelangweilt aus seinem neuen Buch Begrabt mein Hirn an der Biegung des Flusses vorgetragen hatte und noch immer nicht beleidigt worden war. Er sei es nicht gewohnt, so freundlich hier empfangen zu werden. Die Buttersäureattacken, das Beschimpfenmit „Täterschützer“, Sexist, Chauvinist und anderer „-ist“-Schimpfwörter hatten bei Droste Abneigung nicht nur gegen das Hamburger Publikum hinterlassen.

Doch mittlerweile scheinen die männlichen und weiblichen Feministinnen aus dem Schanzenviertel entweder ihr Interesse an Droste verloren oder ihr Hirn an der Biegung der Elbe wieder ausgegraben zu haben und verschonten ihn mit ihrer Selbstjustiz. Dem Berliner Schriftsteller und ehemaligen taz-Redakteur beklatschen nun lieber ältere Studenten mit schwarzem Rollkragenpullover, Oasis-Frisur und exklusiven Werbefritzen-Brillen.

Im Verlauf der Lesung entspannte sich Droste, dessen Texte erst beim Lesen zu voller Schönheit gelangen. Er saß nun nicht mehr da wie eine Mischung aus Oscar-aus-der-Tonne und routiniertem Tagesschau-Sprecher. Lustvoll orgelte er seine Texte durch die Partitur, flötete hie und da ein Liedchen. Man konnte sich gelassen zurücklehnen und Drostes lüstern-hassende Tiraden gegen Soldaten, Ex-Maoisten und deutschnationale Identitätsstifter sowie seine Lobeshymnen auf rauchende Frauen, Andreas Möller und Tocotronic genießen.

Oliver Nachtwey