Eine neue Startbahn West?

Der Boß der Lufthansa will eine neue Startbahn für den Rhein-Main-Flughafen. Widerstand formiert sich in den umliegenden Dörfern  ■ Aus Frankfurt am Main Klaus-Peter Klingelschmitt

Lufthansa-Chef Jürgen Weber möchte gern eine weitere Schneise durch den Wald schlagen. Seine Forderung: eine neue Start-und-Lande-Bahn am Rhein-Main-Flughafen bis vor die Tore der Stadt Raunheim. Man könne schließlich nicht die Europäische Zentralbank nach Frankfurt holen, ohne die Voraussetzungen für mehr Flugbewegungen auf dem Airport zu schaffen, argumentiert er. „Infrastruktur heißt in diesem Fall Flughafen, und das heißt Flughafenkapazität.“

Bei der Vorstellung der glänzenden Betriebsergebnisse der Lufthansa für die ersten drei Quartale 1997 forderte Weber Politiker und Bürger im Umland des Flughafens auf, sich zu entscheiden: entweder für einen Ausbau – dann könne der Flughafen weiter seine Rolle im Konzert der internationalen Großflughäfen spielen. Oder gegen einen Ausbau – dann werde sich Rhein-Main zu einem „Drehkreuz zweiter Ordnung“ entwickeln. Mit der Abwanderung seiner Flotte nach München oder Berlin drohte Weber allerdings nicht. Der Mann weiß, daß weder die Europäische Zentralbank, die Börse oder die 500 Banken in der City noch Hoechst oder Opel aus dem Rhein-Main-Gebiet ins Erdinger Moos oder an die polnische Grenze umziehen würden.

„Jedes Ansinnen der Erweiterung des Bahnensystems muß sofort aufgegeben werden“, verlangt dagegen Martin Kessel von der Bürgerinitiative gegen die Flughafenerweiterung. Das gelte auch für den von der Flughafen AG (FAG) schon einmal vorgelegten Plan zur Spreizung der Pisten des bestehenden Parallelbahnsystems. Bei einer Spreizung mit dann größeren Rollbahnabständen könnten zwei Maschinen gleichzeitig starten oder landen. Dann säßen die Menschen in Walldorf und Zeppelinheim in der Lärmfalle.

Jede Expansion führe zwangsläufig zu mehr Flächenverbrauch und einer zusätzlichen Vernichtung von Wald – ganz abgesehen von der drastischen Erhöhung der Luftbelastung durch Flugzeugabgase, kritisiert Kessel. Das wird in allen Kommunen, die von einem wie auch immer gearteten weiteren Ausbau des Flughafens betroffen wären, genauso gesehen: Resolutionen gegen den Bau einer neuen Startbahn im besonderen und gegen die Expansionsgelüste von FAG und Lufthansa im allgemeinen wurden in den Stadt- und Gemeindeparlamenten verabschiedet. Und aus dem Landkreis Groß-Gerau kam bereits eine geharnischte Protestnote von Landrat Enno Siehr (SPD), die sich auch gegen den Fraktionsvorsitzenden der SPD im Hessischen Landtag, Armin Clauss, richtet.

Koalitionsvertrag verhindert neue Piste

„Wer nicht über den Zaun hinausdenkt, verschläft die Zukunft“, hatte Clauss vor wenigen Tagen provokativ auch für die meisten seiner Parteifreunde verlauten lassen. Noch verhindert der Koalitionsvertrag zwischen SPD und Bündnisgrünen auf Landesebene eine entsprechende Entwicklung. Doch Clauss gab sich zuversichtlich, daß eine solche Passage „ohne jede Entwicklungsperspektive“ keinen Eingang mehr in einen neunen Koalitionsvertrag finden werde. Das würden auch die heute noch widerborstigen Bündnisgrünen bald einsehen, denn „das sind keine dummen Leute“, so Clauss.

In Rage gebracht hat Clauss mit seinen Äußerungen nicht nur den Landrat in der Provinz. Auch die beiden sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten Jürgen May und Gerold Reichenbach echauffierten sich: „Eine weitere Startbahn wird es mit der SPD nicht geben.“

Starke Worte. Doch den Bürgerinnen und Bürgern aus dem Umland fehlt längst der Glaube daran. Schon 1981 habe Ministerpräsident Holger Börner (SPD) versprochen, daß nach dem Bau der Startbahn West kein Baum mehr gefällt werden würde, erinnert sich Martin Kessel von der Bürgerinitiative. Fakt sei dagegen gewesen, daß seit dem Startbahnbau weitere 140 Hektar Wald „niedergemacht“ worden seien – unter anderem für den Luftfrachtumschlagplatz Cargo City Süd.

Auch für die Interessengemeinschaft zur Bekämpfung des Fluglärms e.V. bieten die Äußerungen gerade von sozialdemokratischen Politikern Anlaß zu „Vorsicht und Mißtrauen“. Seit 1991 regieren SPD und Bündnisgrüne das Land. Doch die berechtigte Forderung der Bevölkerung nach einem Nachtflugverbot sei von den Landespolitikern schlicht ignoriert worden, heißt es in einer Presseerklärung. Den Bau einer zusätzlichen Start-und-Lande-Bahn könne die Region nicht mehr verkraften: Städte und Gemeinden wie etwa Zeppelinheim oder Raunheim wären vom Lärm und von Abgasen so stark betroffen, daß die Bevölkerung umgesiedelt werden müßte.

Daß der Bau einer neuen Startbahn in den nächsten zwei Jahren „kein Thema“ sein wird, weiß man bei der FAG. In fünf bis zehn Jahren allerdings sei die Kapazitätsgrenze erreicht, „auch bei Ausschöpfung aller Alternativen“, sagte FAG-Sprecher Wolfgang Schwalm. Die FAG setzt zunächst auf das sogenannte Terminal III, den unterirdischen ICE-Bahnhof der Schnellbahntrasse Köln– Frankfurt. Der soll im Jahre 2000 eröffnet werden. In einer Stunde mit der Bahn von Köln nach Frankfurt und umgekehrt – das bringe echte Entlastung im innerdeutschen Flugverkehr und setze „Shots“ für den internationalen Luftverkehr frei, prognostizierte Schwalm.

Weniger an Entlastung für Rhein-Main würden dagegen die Kooperationen mit anderen deutschen Flughäfen bringen. Vom ehemaligen US-Airport Hahn im Hunsrück kann man zwar schon heute mit Charterflügen nach „Ballermann 6“ auf Mallorca starten. Und auch Frachtflüge werden über Hahn abgewickelt. Gegen eine weitere Nutzung als Dependance spricht aber die fehlende Infrastruktur. Um sich eine weitere Option offenzuhalten, hat sich die FAG 51 Prozent der Anteile am Flughafen in Saarbrücken gesichert. Und die Gesellschaft will in einem Konsortium mit Hochtief, Siemens und ABB beim Bau des neuen Großflughafens Berlin- Schönefeld mitmischen.

Ziel der FAG ist eine Kooperation der deutschen Flughäfen. Nur so könne sich der Standort langfristig im internationalen Wettbewerb behaupten, mit Frankfurt an der Spitze. Auch ohne den Bau einer neuen Startbahn? Der hessische Wirtschafts- und Verkehrsminister Lothar Klemm (SPD) hält mittelfristig eine Steigerung der Flugbewegungen auf 450.000 mit einer verbesserten Koordination für möglich. Doch ab 2005 gehe dann nichts mehr, behaupten FAG und Lufthansa.

Wird sich in Hessen also Geschichte als Farce wiederholen? In Mörfelden gab es die erste Protestveranstaltung: „Keine neue Startbahn – für ein Nachtflugverbot!“ Noch gibt es keinen Aktionismus im Wald. Und der Gegner spielt auch noch nicht mit. Hans Eichel will offenbar nicht der Nachfolger von Holger Börner werden. Im Gegensatz zu seinem Fraktionsvorsitzenden Clauss glaubt der Ministerpräsident, daß eine neue Startbahn in der Region nicht durchsetzbar sei. Noch nicht?

„Wer hat uns verraten? – Sozialdemokraten!“ Diese bitterböse Parole von 1919 wurde von den Startbahnkämpfern 1981 aufgegriffen, als die Startbahngegner in den Reihen der SPD im Landtag gerade die Hände für den Startbahnbau gehoben hatten.