Studie stellt Gesamtschule kein gutes Zeugnis aus

■ Max-Planck-Institut verglich Schultypen in Berlin und NRW. Gesamtschule hat viele Defizite

Berlin (taz) – Die Gesamtschule erfüllt nicht die Anforderungen, die an sie gestellt werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine jetzt öffentlich vorgestellte Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung.

Unter dem Titel „Bildungsverläufe und psychosoziale Entwicklung im Jugendalter“ haben Bildungsforscher die Leistungen von Mittelstufenschülern verschiedener Schultypen aus Berlin und Nordrhein-Westfalen miteinander verglichen. Sie kommen zu dem Schluß, daß die Gesamtschule beim „sozialen Lernen“ keine besonderen Erfolge vermelden kann. Sie erzielt keine besseren Ergebnisse, wenn es darum geht, den Schülern soziale Fähigkeiten wie Hilfsbereitschaft, Zusammenarbeit und Eigeninitiative zu vermitteln. Bei einigen Tests, die die Entwicklung von sozialen Fähigkeiten zwischen der 7. und 10 Klasse prüften, schnitt die Gesamtschule im Vergleich zu den herkömmlichen Schulen sogar am schlechtesten ab.

Auch die oft von konservativer Seite geäußerte Kritik am Leistungsniveau der Gesamtschulen wird von der Studie bestätigt: In den E-Kursen, die eigentlich das gymnasiale Niveau erreichen sollten, sind die Leistungen im Fach Mathematik nicht einmal auf Realschul-Niveau. In Englisch liegen sie sogar noch weit darunter.

Diese Ergebnisse seien auch für Verfechter der Gesamtschule „nicht hinnehmbar“, erklärt Kai Schnabel vom Max-Planck-Institut (MPI). „Die Gesamtschule ist den hohen Ansprüchen, die man in der bildungspolitischen Diskussion der siebziger Jahre an sie gestellt hat, nicht gerecht geworden.“ Er selbst zeigte sich von den Ergebnissen enttäuscht und erklärte, angesichts dieser Bilanz müßten alte Überzeugungen überdacht werden.

Erweisen sich also jene Schulformen am effektivsten, die nicht von den 68er Ideen „angekränkelt“ sind? „Auch das Gymnasium ist heute nicht mehr dasselbe wie vor 1968“, gibt Schnabel zu bedenken. In seiner jetzigen Form scheine es sich aber zu bewähren: „Die gymnasiale Oberstufe ist bei den Schülern überdurchschnittlich beliebt“. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) warnt davor, aus der Studie voreilige Schlüsse zu ziehen. Ilse Fürer, Referentin der GEW Nordrhein- Westfalen, bezweifelt, daß man „den Charakter eines Kindes seiner Schule zuordnen kann“. Die Gesamtschule bleibe auch deswegen hinter den Erwartungen zurück, weil diese heute nicht in der Form existiere, wie sie einst geplant gewesen sei. Auch MPI-Mitarbeiter Schnabel betont: „Es geht nicht darum, eine neue Diskussion um die beste Schulform zu eröffnen. Vielmehr muß die konkrete Gestaltung des Unterrichts reformiert werden – an allen Schulen.“ Statt lediglich Wissen anzuhäufen, müßten Schüler lernen, wie sie eigenständig Probleme lösen können. Noel Rademacher