Lübeck: „Lebenslänglich“ für Polizistenmörder

■ Ein gerechtes Urteil nach fairem Prozeß

Der Ersten Großen Strafkammer blieb keine andere Wahl. Sie verurteilte Kay Diesner zu lebenslänglicher Haft in besonders schwerem Fall. Daß Diesner mit einer alleinsorgenden Mutter, die wenig Zeit für ihre Söhne hatte, aufgewachsen ist, erkannten die Richter nicht als mildernden Umstand an. Ebensowenig ließen sie gelten, daß er bereits als 16jähriger in die rechtsradikale Szene kam und dort seine Vater-, seine Leitfiguren fand. All die Gründe, weswegen Gerichte zeitweise recht nachsichtig mit Rechtsradikalen umgegangen sind, entfielen im Lübecker Prozeß.

Kay Diesner wurde ein fairer Prozeß gemacht. Auch wenn er sich alle Mühe gab, als Zampano zu erscheinen, der sich von einem Richter oder Staatsanwalt nichts sagen läßt, behandelte ihn der Vorsitzende Fritz Vilmar mit ausgesuchter Höflichkeit. Das Gericht ließ sich auch von dem Vertreter der Nebenklage, dem PDS-Anwalt Dost, nicht vereinnahmen, der versuchte, aus dem Verfahren einen politischen Prozeß zu machen. Er wollte Innensenator Schönbohm als Zeugen sehen, um ihn nach seiner moralischen Mitschuld zu befragen. Die PDS hätte zu gerne das „System, das solche Taten ermöglicht“, an den Pranger gestellt. Die Richter wußten um ihre Aufgabe und darum, daß Politik nicht im Gerichtssaal verhandelt wird, obgleich sie im Urteil zugestehen, daß Politikeräußerungen Rechte ermutigen können. Die Richter haben in souveräner Art ein gerechtes Urteil gefunden.

Fraglich bleibt, ob das Urteil andere Rechtsextremisten abschrecken wird. Diesner mag ein Einzeltäter gewesen sein, aber er ist kein einzelner. Die Berliner Polizei geht davon aus, daß etwa 50 Neonazis in der Stadt herumlaufen, die als Psychopathen gelten. Noch einmal zehn Figuren gelten als potentielle Terroristen. Sie dürften sich durch das Urteil – das höchste in einem Neonaziprozeß – angegriffen fühlen. Die braunen Kameraden sind offenbar dabei, sich neu zu formieren. In Thüringen soll sich ein harter Kern etabliert haben, dessen Logistik, Vernetzung und Strukturen dem bundesdeutschen Niveau weit überlegen sind. Der Staat müsse sich auf Terroranschläge aus der Neonaziszene gefaßt machen, warnt der thüringische Innenminister. Um so wichtiger ist der souveräne Umgang mit den Kadern. Das Urteil von Lübeck ist ein Beispiel dafür. Annette Rogalla

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