Der eigentliche kriminelle Abgrund

■ Hollywood-Babylon, mafioser Morast und das Lieblingsspiel des Los Angeles Police Department: "L.A. Confidential"

Wichtiger als die misanthrope Spleenigkeit eines Maigret oder die Einsilbigkeit eines Sam Spade ist die Faktenlage: Ein echter Polizeikrimi der schwarzen Serie braucht die Zugrundelegung eines wirklich abstoßenden Verbrechens und die Ahnung, daß hinter der offiziellen Wahrheit noch ein andere, der eigentliche kriminelle Abgrund, verborgen liegt.

Gut ist außerdem, wenn man ein paar Schauspielergesichter auffahren kann, die aussehen, als seien sie direkt aus dem Urgestein des Film noir geschnitzt, und sich entsprechend rauhbeinig benehmen. Dann überzeugt auch eine wüste True-crime-Geschichte, die die „guten alten Zeiten“ bemüht. Sogar wenn sie ins Los Angeles der frühen Fünfziger verlegt ist, mitten in einen Melting pot aus rassischer Diskriminierung, Zuhälterei und Korruption.

Da wäre zunächst einmal der doggenartige Bud White (Russel Crowe), treuherzig wie die besagte Kreatur, zudem ein Beschützer geschlagener Frauen, den erste Zweifel am Sieg der Gerechtigkeit beschleichen, als sein Partner auf mysteriöse Weise ums Leben kommt. Hartnäckig und bodenständig verbeißt er sich fortan in die Aufklärung der Hintergründe. Als kurz darauf in der Bar „Nite Owl“ fünf Personen niedergeschossen und blutüberströmt im Waschraum aufgestapelt werden, zwingen ihn die Umstände, mit zwei Kollegen zusammenzuarbeiten, mit denen er in Privatfehde liegt.

Ed Exley (Guy Pearce) ist ein überzüchteter Karriere-Junghengst, der nach nach dem Motto „Viel Feind', viel Ehr'“ bei seinem Vorgesetzten Dudley Smith (John Cromwell) auf den Treppchen nach oben strebert. Nicht eben beliebt bei seinen Kollegen, schlägt ihm besonders vom Vorzeige-Cop Jack Vincennes wenig Gegenliebe entgegen. Als Intimus des Klatschreporters Sid Hudgeons (Danny DeVito) versorgt Vincennes diesen heimlich mit gezielten Indiskretionen. Im Gegenzug liefert Hudgeons saubere Publicity für das Police Department. Gemeinsam berät das zwielichtige Duo zudem eine glorreiche Polizei-Serie. Unterdessen weitet sich das „Nite Owl Massacre“ zu einem Desaster aus. Falsche Verdächtige werden zu Geständnissen gepreßt, die allzu durchsichtig erscheinen, um zu überzeugen. Bis zum Showdown muß das ungleiche Trio eine kathartische Durststrecke der Selbstfindung zurücklegen. Nach einigen Abstechern ins Archiv trifft man sich schließlich zur Waffenverbrüderung kurz vor dem Finale. Das findet in bester Blockhaus-Manier statt wie im klassischen Western. Nur den Orden bekommt der falsche Held.

Die auf Authentizität pochende Story von „L.A. Confidential“ beruht auf der mit Polizeiberichten reichlich ausgeschmückten Gangsterschwarte von James Ellroy. Dieser wiederum bezieht seine Fakten aus der intimen Kennerschaft des Los Angeles Police Department (LAPD) damals und heute. Selbst einige Male in kleineren Delikten im Konflikt mit dem Gesetz gewesen, veröffentlichte der Vielschreiber seit 1979 neben „L.A. Confidential“ (deutscher Titel: „Stadt der Teufel“) jetzt ganz aktuell „Die Rothaarige“, ein Buch, das den unaufgeklärten Mord an seiner Mutter Ende der Fünfziger thematisiert. Hollywood-Babylon und mafioser Morast greifen in seinen Werken stets ineinander als Zahnräder einer übergroßen Maschinerie um Geld und Geltung.

Als weiteres Motiv schiebt sich da – sehr leinwandgerecht – noch ein anderes typisches Tinsletown- Thema zwischen die hartgesottenen Ermittler, deren Lieblingsspiel „guter Bulle, böser Bulle“ lautet: Was wäre schon so ein Streifen aus der Lasterhöhle L.A. ohne eine trostreiche Hure mit gutem Herzen? Lyn Bracken (Kim Basinger) ist ein Edel-Callgirl und sieht aus wie das Leinwandidol Veronica Lake. Dieselbe gescheitelte Kaskade aus onduliertem Blondhaar, Lakes Markenzeichen. Mit Filmpartner Alan Ladd, Co-Star von Hammett- und Chandler-Verfilmungen, baute Paramount die echte Lake seit den Vierzigern kurzfristig in Konkurrenz zu Warners Bogart und Bacall auf. Tatsächlich suchte beispielweise Lana Turner wie andere Diven und Sternchen damals ihre Liebhaber bevorzugt in der Ganovenszene. Die Halbwelt ihrerseits machte sich den anrüchig-amourösen Trend zunutze: Mittels plastischer Chirurgie fabrizierte man Huren, die aussahen wie Filmstars. Unter dem Label „Fleur de lis“ dekorieren diese Damen den Set von Hansons Film. L.A., die City of Angels, ist in den Fünfzigern genau das Ballungszentrum solcher Mischverhältnisse, und „L.A. Confidential“ ist trotz aller Düsternis dem Mythos und dem Glamour dieser Dekade gewidmet. Gudrun Holz

„L.A. Confidential“. Regie: Curtis Hanson. Drehbuch: Brian Helgeland, Curtis Hanson. Mit Russel Crowe, Guy Pearce, Kevin Spacey, Kim Basinger u.a., USA 1997, 135 Min.